Es weht ein Hauch von 1989 durch das Land

von RENÉ NEHRING
Natürlich ist die Bundesrepublik von heute nicht gleichzusetzen mit dem Endstadium der DDR. Sie ist nicht ansatzweise so marode wie der Arbeiter- und Bauernstaat, die hier lebenden Bürger genießen einen der höchsten Lebensstandards der Welt, und nicht zuletzt haben die Wähler – trotz mancher Schikanen gegen eine große Oppositionspartei – regelmäßig die Möglichkeit, über den Kurs ihres Landes selbst zu bestimmen. Gleichwohl haben sich in den vergangenen Jahren einige bedenkliche Parallelen zur untergegangenen DDR herausgebildet.
Parallelen zur späten DDR
Zu den gefährlichsten Tendenzen gehört die Ideologisierung von immer mehr Lebensbereichen. So wurde die deutsche Volkswirtschaft mittels staatlicher Vorgaben und Subventionen zielstrebig auf das Ziel der „Klimaneutralität“ ausgerichtet – und dabei bewusst in Kauf genommen, dass dies zu Wettbewerbsnachteilen für einheimische Unternehmen wie auch zu Wohlstandsverlusten der Bürger führte.
Eine ebenso gefährliche Parallele zwischen der Bundesrepublik von heute und der DDR ist das Ausblenden offensichtlicher Missstände, wenn diese nicht in das Weltbild der Führung passen. So verweigert die amtierende Bundesregierung trotz des Tag für Tag sichtbaren Scheiterns der Politik der offenen Grenzen ein grundsätzliches Umdenken in der Zuwanderungsfrage – und ruft stattdessen mit ihr nahestehenden Massenorganisationen zum „Kampf gegen Rechts“ auf. Auch die SED-PDS inszenierte, als ihr die Zügel der Macht entglitten, im Januar 1990 in ihrem ganzen Land Massenaufmärsche, in denen sie vor der „Gefahr von Rechts“ warnte – womit damals wie heute eine Mehrheit der Bürger gemeint war.
Interessant sind auch die Parallelen im Umgang mit Kritikern aus den eigenen Reihen. Ging die SED hart gegen Reformkommunisten wie Robert Havemann vor, so drängten die Sozialdemokraten mahnende Mitglieder wie Thilo Sarrazin und dessen Ehefrau Ursula (immerhin Tochter des früheren DGB-Vorsitzenden Ernst Breit) und die Grünen ihr kämpferisches Urgestein Boris Palmer aus ihren Parteien.
Geradezu bedrohlich – und offenbar so auch im Ausland wahrgenommen – ist die schleichende Unterhöhlung der Meinungsfreiheit
Wenn Minister einer Regierung, die eine dramatische Verschlechterung der inneren Sicherheit und einen beispiellosen ökonomischen Niedergang zu verantworten hat, im Internet nörgelnde Bürger hundertfach mit Strafanzeigen überziehen, zeigen sie damit klassische Verhaltensmuster autoritärer Staaten.
Denkwürdig sind nicht zuletzt auch die Ähnlichkeiten im Verhalten der heimischen Eliten gegenüber Hinweisen ihres dominanten Bündnispartners. Ignorierten einst die SED-Bonzen die Warnungen aus Moskau, verbitten sich Verantwortungsträger des Politikbetriebs von heute jegliche Einmischung aus Washington. So ließen Vertreter fast aller Parteien Vance‘ Mahnung mit Worten wie „übergriffig“ oder „inakzeptabel“ an sich abprallen.
Die nächste Wende?
Wie es weitergeht, ist anhand stabiler Umfragewerte schon vor der Bundestagswahl vom kommenden Sonntag erahnbar. Während die Kanzlerpartei SPD, die jahrelang viele Sorgen und Nöte ihrer Kernwählerschaft ignorierte, gegenüber der letzten Bundestagswahl in etwa halbiert werden dürfte, kann die oppositionelle AfD, die in den vergangenen Jahren viele Sorgen und Nöte einstiger SPD-Stammwähler aufgriff und im politischen Tagesgeschäft vertrat, mit einer Verdoppelung der Stimmen rechnen. Sollte es so kommen, wäre dies – trotz der schon jetzt zu erwartenden Aufmärsche linker NGOs – keine Niederlage der Demokratie, sondern deren Normalfall. Denn in einem System, das „Volksherrschaft“ heißt, zählt am Ende, was das Volk will, und nicht, was einzelne Parteien oder Lobby-Gruppen wollen.
Dass dies keineswegs nur für Deutschland gilt, zeigt ein Blick zu den Nachbarn. In Frankreich, Italien, Österreich und in den Niederlanden haben Parteien der Mitte in den vergangenen Jahren dramatische Verluste erlitten, während populistische Bewegungen enorm zulegten. In Dänemark, wo die Sozialdemokraten Volkes Wille akzeptierten und beispielsweise die unkontrollierte Zuwanderung begrenzten, regieren sie noch immer. Eine der letzten christdemokratischen Parteien Europas, die noch mit einem klassischen bürgerlichen Programm vor die Wähler tritt, ist die des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dass dieser regelmäßig mit einer Zweidrittelmehrheit regieren kann, könnte anderen christdemokratischen Parteien zu denken geben.
Apropos Christdemokratie. Nach Lage der Dinge wird der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz sein. Dieser hat seit der Übernahme des CDU-Vorsitzes den Kurs seiner Partei auf vielen Feldern wieder hin zu klassischen christdemokratischen Positionen korrigiert. Wenn Merz ins Kanzleramt einzieht, wird sich zeigen, ob er auch bereit ist, den Kurs des ganzen Landes zu ändern – und sich dafür mit noch mächtigeren Interessengruppen als den Merkelianern in der Union anzulegen.
Oder, um beim Vergleich zu 1989/90 zu bleiben: Merz steht vor der Wahl, ob er der Letzte von gestern sein will – oder der Erste von morgen.
Der Beitrag von René Nehring erschien zuerst in der Preussischen Allgemeinen Zeitung am 19.02.2025
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