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Alexej Nawalnys bewegende Memoiren erscheinen: „Es wird niemand zum Verabschieden da sein“

KLAUS KELLE
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawany 2017 bei einer Demonstration in Moskau.

„Ich wollte mein Land nicht aufgeben oder es verraten. Wenn unsere Überzeugungen etwas bedeuten sollen, muss man bereit sein, für sie einzustehen und, wenn nötig, Opfer zu bringen.“

So lautet der letzte Eintrag im Tagebuch des früheren Putin-Kritikers Alexej Nawalny, veröffentlicht im Magazin „New Yorker“, vom 17. Januar 2024. Nawalny antwortete damit auf die Frage von Mithäftlingen, warum er nach seiner Genesung vom Giftanschlag des russischen Geheimdienstes freiwillig zurück nach Russland geflogen sei.

Am 16. Februar war Nawalny tot

An diesem Tag teilte die Gefängnisverwaltung der nördlichen Region Jamalo-Nenez in Sibirien, wo Nawalny seit Dezember im Straflager inhaftiert war, mit, der 47-Jährige sei verstorben. Er habe sich bei einem Spaziergang „schlecht gefühlt“ und das Bewusstsein verloren. Um 14.17 Uhr stellten Ärzte seinen Tod fest.

Die Todesursache bei Nawalny ist bis heute hochumstritten. Wo sich sein Leichnam befindet, wird von den russischen Behörden verschwiegen. Und Ehefrau Julia behauptet nach wie vor: „Putin hat meinen Mann umgebracht.“

Nawalny-Anwalt Leonid Solowjow sagte damals gegenüber der Zeitung „Nowaja Gazeta Europa“, ein Kollege habe den 47-Jährigen noch zwei Tage vor seinem Tod gesehen. „Da war alles normal“. Auf Aufnahmen, die Nawalny am Tag vor seinem Tod bei der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung per Videoschalte zeigen sollen, lachte er und machte Witze über den Richter.

Nawalnys Memoiren, die in den nächsten Tagen veröffentlich werden (22. Oktober) – Buchtitel „Patriot“ – wurden nach seinem Tod aus seinen Tagebuch-Eintragungen in der Haft zusammengestellt. Nawalny wusste danach, was ihm unter dem Putin-Regime erwartete:

„Ich werde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen und hier sterben“,

so schrieb er im März 2022 in sein Tagebuch. Und weiter: „Es wird niemand zum Verabschieden da sein.“

19 Jahre verschärfte Haft in einem russischen Straflager in der Arktis – das war die Rache des Putin-Regimes an einem Kritiker, der, wie wenige andere, den korrupten Clan im Kreml öffentlich anprangerte und seine Vorwürfe mit harten Fakten beweisen konnte. Unvergessen der millionenfach aufgerufene und weltweit gesehene Videofilm im Internet über Putins Protz-Villa am Schwarzen Meer, die der Kriegsverbrecher inzwischen meidet, um nicht in die Reichweite ukrainischer Drohnen zu geraten.

In einem bewegenden Eintrag vom 17. Januar 2022 schreibt Nawalny: „Das Einzige, was wir fürchten sollten, ist, dass wir unsere Heimat aufgeben, um sie von einer Bande von Lügnern, Dieben und Heuchlern ausplündern zu lassen.“

Und in einem Eintrag vom 1. Juli 2022 schildert Nawalny seinen Tagesablauf in der Lagerhaft: Aufwachen um 6.00 Uhr, Frühstück um 6.20 Uhr und Arbeitsbeginn um 6.40 Uhr.

„Bei der Arbeit sitzt man sieben Stunden an der Nähmaschine auf einem Hocker unter Kniehöhe. Nach der Arbeit sitzt man einige Stunden auf einer Holzbank unter einem Porträt Putins. Das nennen sie ‚disziplinarische Tätigkeit‘.“

Nawalny hatte mit dem Tagebuch schon im Jahr 2020 nach dem Giftanschlag auf ihn begonnen. Danach wurde er mehrere Monate in der Berliner Charité behandelt und gesund gepflegt. Im Jahr darauf kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er am Flughafen festgenommen und in eine Zelle gesperrt wurde. Er hat danach nie mehr einen Tag in Freiheit sein dürfen.

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Klaus Kelle, Chefredakteur