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Der vergessene Krieg Edogans gegen die Kurden

ARCHIV – Bei der Offensive gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK kamen auch Kampfjets zum Einsatz (Archivbild). Foto: Ingo Wagner/Archiv/dpa

von JUlIAN MARIUS PLUTZ

ANKARA – Jeder Mensch verfügt über einen gewissen mentalen und psychischen Haushalt. So sieht sich der eine durchaus überfordert, was die täglichen Medien von sich geben. Sie schalten im wahrsten Sinne des Wortes ab. Es gibt Personen, die aufgrund der anhaltenden Krisenlagen, nach Flüchtlingen und zwischen Terroranschlägen nun der Krieg, sich ganz bewusst Radio, TV und Internet entziehen. Sie schützen sich selbst, indem sie den Informationsfluss auf ein Minimum reduzieren.

Manche Krisen sind so prominent und vereinnahmen unseren mentalen Haushalt so sehr, dass man andere Themen gar nicht mehr wahrnehmen kann. Das Limit ist erreicht, die Aufmerksamkeit erschöpft und die innere Hygiene des eigenen Körpers schreitet ein und versperrt weitere Katastrophenmeldungen.

Erdogan möchte die „Köpfe zermalmen“

Daher ist es wenig überraschend, ,dass der Krieg von Erdogan gegen die Kurden in Deutschland kaum Beachtung findet. Die Bomben auf die Ukraine sind näher und präsenter. Und während Minister und Medien sich in Betroffenheit einerseits und Entschlossenheit andererseits bemühen, sterben im Nordirak Tag für Tag Menschen.

Besonders eindringlich sind hierbei die Worte des türkischen Präsidenten.

Recep Tayyip Erdogan drohte, er wolle „Köpfe zermalmen“. Gemeint sind die kurdischen PKK-Rebellen im Nordirak. Die auch in Europa und den USA als Terrororganisation gelistete PKK hat ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen im Nordirak. „Hoffentlich wird es bald keinen Ort mehr namens Kandil geben“, sagte Erdogan am vergangenen Mittwoch. Und Deutschland schweigt.

„Recht auf Selbstverteidigung“ der Türkei?

Die Schwierigkeit mit dem NATO-Bündnispartner Tacheles zu sprechen, ist nicht neu. Auch bei dem Flüchtlingsabkommen, den Kritiker als dreckigen Deal bezeichnen, machte die EU, im wesentlichen Deutschland in persona von Angela Merkel erstaunliche Zugeständnisse. Offenbar scheut man sich, deutliche Worte an die Türkei zu richten.

Derweil begründen türkische Politiker den Angriffskrieg im Nordirak mit dem „Recht auf Selbstverteidigung“, dass das Land in Anspruch nimmt. So hätten die Kurden einen „groß angelegten Angriff“ auf die Türkei geplant, ohne jedoch Belege zu nennen.

In Deutschland spricht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags lediglich von „Einsätzen“ der türkischen Armee, die im Irak durchgeführt werden.

NATO verhinderte Aufklärungsarbeit

Die Haltung der Bundesregierung ist nicht neu. Schon bei den Angriffen auf die kurdische Selbstverwaltung in Nordysrien sahen die Politiker weg. 2018 eroberte schließlich die Türkei den Bezirk Afrin unter Hilfe islamistischer Milizen – übrigens mit Zustimmung Moskaus. Ein Jahr späterr griffen türkische Truppen weitere Kurdengebiete im Norden Syriens an; diesmal war es Trump, der der Invasion zustimmte, was sich als besonders zynisch darstellte, waren doch die Kurden im Kampf gegen IS Bündnispartner der USA.

Bereits damals verhinderte Berlin ein Waffenembargo der EU gegen die Türkei. Anfang 2020 stellte Angela Merkel sogar Finanzhilfen für die türkische Okkupation in Nordsyrien in Aussicht, die wenig später auch flossen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verteidigte den Angriffskrieg gegen Afrin unter Verweis auf das „Selbstverteidigungsrecht“ des NATO-Mitglieds Türkei. Laut The Times verhinderten NATO-Staaten zudem eine internationale Untersuchung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen durch türkische Truppen.

Täglich Angriffe auf kurdische Gebiete

Derweil versucht die Türkei durch ethnische Säuberung Gebiete in Nordsyriens zu unterwandern. Laut kurdistan24.net vom 30.05.2021 beklagten kurdische Organisationen schon Mitte vergangenen Jahres, in Afrin seien die Kurden, die vor dem Syrien-Krieg die große Bevölkerungsmehrheit gestellt hatten, zu einer Minderheit geworden. Hunderttausende vertriebener Kurden mussten in Flüchtlingslagern umziehen, da siedelte Erdogan unter anderem Turkmenen aus anderen Regionen Syriens in Afrin an, sodass der kurdische Bevölkerungsanteil nur noch bei rund 25 Prozent liege.

All dies geschieht vor den Augen des Westens und dem aktiven Zutuns der syrischen Regierung. Täglich fliegen Drohnen und Kampfflugzeuge auf kurdische Ziele im Nordirak. Der mentale Haushalt der Deutschen scheint mit dem Ukraine-Krieg ausgeschöpft sein. Doch Kriege finden auf dem ganzen Globus statt.

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Klaus Kelle, Chefredakteur