Dürfen eigentlich „Rechte“ abends auf einem Bahnhof stehen?
von KLAUS KELLE
Darf man über „Rechte“ unvoreingenommen berichten? Ja, klar, werden viele Leser jetzt sagen. Journalisten müssen immer unvoreingenommen berichten. Sehe ich im Grundsatz auch so, aber das Thema „Rechts“ ist heikel in Deutschland, auch noch 72 Jahre „danach“. Man darf das nicht vergessen, was sich im deutschen Namen ereignet hat, man muss die Erinnerung an den Holocaust weiterhin wach halten, damit sich so etwas nie wieder ereignet. Sie kennen meine Haltung dazu.
Nun ist es aber gar nicht so einfach, zu unterscheiden. Ein Rassist, ein Antisemit – klar, die sind stramm rechts, und mit denen will ich – und ich hoffe auch Sie alle hier – nichts zu tun haben. Aber die politische Geografie ist durchaus nicht immer klar zu verorten. Waren die Nationalsozialisten nicht rechts, aber als Sozialisten auch links? Ist nicht der französische Front National mit ihrem Kampf gegen Zuwanderung originär rechts? Aber hat der FN nicht ein Parteiprogramm, das ansonsten Sozialismus pur ist? Ich rate allen Freunden, bei den neuen Parteien und Bewegungen genau hinzuschauen, was da in der Packung alles drin ist! Und werden nicht in Deutschland ehemalige Stasi-Spitzel vom Staat gefördert, um selbst CDU-Mitglieder zu „rechts“ zu erklären, nur wenn sie die Ehe von Mann und Frau immer noch gut finden? Man wird schnell zum „Rechten“ heutzutage. Auch, wenn man gar nicht rechts ist. Lesen Sie bei Orwell nach, wie so etwas geht.
In Wien gab es gestern einen Sturm der Empörung im Blätterwald um einen jungen Mann namens Martin Seller. Der ist einer der Sprecher der rechten „Identitären Bewegung“, die es mit politischen Aktionen wie zum Beispiel letztens der „Besetzung“ des Brandenburger Tores bis auf die Titelseite der BILD geschafft hat. Martin Seller ist ein bekanntes Gesicht in Wien. Der „Identitäre“ steht nicht zum ersten Mal in der Zeitung. Am vergangenen Freitag gegen 22 Uhr wurde er an einer U-Bahn-Station von fünf linken sogenannten „antifas“ erkannt und mit Tritten und Schlägen angegriffen. Der junge Rechte wehrte sich mit einer „Pfefferspray-Pistole“ und vertrieb so die maskierten Angreifer.
Martin Sellner mischte sich aus Gründen seiner körperlichen Unversehrheit unter die Leute am Bahnhof und rief die Polizei, die dann auch kam und den Vorfall aufnahm. Erstaunlich aber, was am nächsten Tag berichtet wurde. „Identitärer schoss mit Waffe um sich“ lauteten da Überschriften. Auf Twitter schrieben österreichische Journalisten, Sellner hätte doch „zuhause bleiben sollen“ und „provoziert“. Einfach, weil er abends das Haus verließ und auf einem Bahnsteig stand.
Ich weiß nicht, ob Herr Sellner rechtsradikal ist. Die Frage, warum er eine Gaspistole dabei hat, wenn er abends durch Wien geht, erklärt er in einem Interview damit, dass er schon mehrfach körperlich von linksradikalen Gewalttätern körperlich attackiert worden ist und vor einigen Monaten das Auto seiner Eltern angezündet wurde.
Von den Identitären weiß ich nicht mehr als das, was ab und an in der Zeitung über ihre Aktionen berichtet wird. Aber ich denke, man kann auch als Journalist nicht zweierlei Maß gelten lassen und aus einem Opfer einer Gewalttat einen Täter machen. Einfach nur weil er „rechts“ sein könnte.
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Klaus Kelle, Chefredakteur