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Kann Israel die Vernichtung der Hamas gelingen

INTERVIEW mit Godel Rosenberg: „Wer heute wegschaut, wird morgen weinen!“

Esther von Krosigk
Maka-Maka Strand-Cafe in Herzliya, nördlich von Tel Aviv. Normalerweise tummeln sich hier Tausende, Familien mit Kindern, die die letzten Sonnenstrahlen im Oktober geniessen. Angst vor Hamas-Bomben aus Gaza zwingt die Bevölkerung seit drei Wochen zu Hause zu bleiben.
Maka-Maka Strand-Cafe in Herzliya, nördlich von Tel Aviv. Normalerweise tummeln sich hier Tausende, Familien mit Kindern, die die letzten Sonnenstrahlen im Oktober geniessen. Angst vor Hamas-Bomben aus Gaza zwingt die Bevölkerung seit drei Wochen zu Hause zu bleiben.

Godel Rosenberg lebt nördlich von Tel Aviv und ist Deutscher und Israeli zugleich. Er wurde 1946 in Polen als Kind jüdischer Schoa-Überlebender geboren und wuchs in München auf. Nach seiner Ausbildung zum Journalisten war er u. a. Pressesprecher der CSU an der Seite des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Von 2009 bis 2018 war er Auslandsrepräsentant Bayerns in Tel Aviv. Seine Eindrücke über die aktuelle Situation in Israel schildert er uns im Interview mit Esther von Krosigk.

Vor knapp drei Wochen hat die Hamas-Terror-Organisation ein schreckliches Massaker durchgeführt – ist das alltägliche Leben in Israel davon nach wie vor gezeichnet, und wie kann man es sich vorstellen? Was sieht man, wenn man durch die Strassen geht?

Israels Bevölkerung steht noch immer unter Schock. Das Massaker vom 7. Oktober hat die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Es wurden 1400 Kinder, Mütter, Schwangere, Väter, Alte und Behinderte abgeschlachtet wie Tiere. Einige davon verbrannt wie Abfall. Israel hat mobil gemacht, eine halbe Million Bürger sind zu den Waffen gerufen. Ziel: die Hamas in Gaza muss vernichtet werden, erklären Politik und Militär. Die israelische Verteidigungsarmee (IDF) ist auf dem Weg zu einer militärischen Antwort auf das Massaker. Erst danach können politische Verhandlungen aufgenommen werden.

Gleichzeitig müssen über 200 Geiseln, die die Terroristen verschleppt haben, befreit werden. Israel erhöht mit Bomben auf Hamas-Terrornester in Gaza den Druck. Parallel dazu verhandeln Politiker der EU und aus den USA sowie humanitäre Organisationen mit Katar und Ägypten. Die ersten vier Geiseln sind frei. Aber es liegt noch ein langer, äusserst schwieriger Weg vor uns.

Können Kinder die Schule besuchen, Studenten die Unis, haben Geschäfte auf?

Das gesamte Leben in Israel ist auf das Notwendigste reduziert. Schulen und Kindergärten waren zwei Wochen geschlossen. Jetzt läuft es langsam wieder an. Die Versorgung der Bevölkerung ist gesichert. Täglich heulen die Sirenen vor allem im Süden. Die Menschen laufen in ihre Schutzräume oder dort, wo es keine Schutzräume gibt, ins Treppenhaus. Die Medien unterrichten die Bevölkerung ununterbrochen. Das Leben ist eingeschränkt, aber jeder in Israel weiss: Es geht um die Sicherheit und die Zukunft des Landes.

Welche Schritte wurden unternommen, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu gewährleisten?

Hunderttausende mussten im Süden und im Norden ihre Wohnungen oder Häuser verlassen. Sie leben bei Verwandten und Freunden im Grossraum Tel Aviv und Jerusalem. Die Hotels am Toten Meer und Eilat sind übervoll mit Familien auf der Flucht vor dem Beschuss durch die Hamas aus Gaza, aber auch aus dem Norden. Über 7500 Raketen sind in den letzten 20 Tagen willkürlich auf israelische Wohngebiete abgeschossen worden. Ganz Israel denkt heute an Adi Baruch, einer 20-jährigen Soldatin, die auf dem Weg zu ihrer Militärbasis von einer Hamas-Rakete getroffen wurde.

Welche Massnahmen wurden ergriffen, um den Opfern und ihren Familien Unterstützung und Hilfe anzubieten?

Von den über 4000 Verletzten liegen noch immer fast 300 in Krankenhäusern. Für die Angehörigen von Opfern gibt es eine beispiellose Hilfswelle. Restaurants im ganzen Land kochen jeden Tag und schicken die Gerichte für die Soldaten in die Militärbasen. Dutzende von Organisationen helfen rund um die Uhr, auf allen Rathausplätzen werden Kleidung und Essen gesammelt. Das Volk steht zusammen. Das ist überall zu sehen und zu spüren. Am wichtigsten: die Unterstützung der Soldaten, die im Süden und im Norden für den Angriff bereit sind.

Wünscht sich die Mehrheit einen harten Vergeltungsschlag oder ist die Angst grösser, dass dann ein ganz grosser Konflikt droht?

Was würde denn Deutschland oder jedes andere Land auf der Welt machen, wenn es von kaltblütigen Mördern überfallen wird, die 1400 zumeist Zivilisten rücksichtslos umgebracht und über 200 Geiseln genommen haben? Es geht nicht um einen kleinen oder grossen Konflikt. Israel muss die Hamas-Terroristen bestrafen und so ausschalten, dass von dieser Organisation niemals mehr Gefahr droht. Es geht nicht um Rache, hat der Generalstabschef der IDF gesagt. „Wir reagieren nicht aus dem Wutbauch heraus. Wir handeln mit dem Kopf. Es geht um die Sicherheit des Staates Israel für morgen und übermorgen.“

Es scheint ja nicht „nur“ um einen Krieg gegen Israel zu gehen, sondern es ist mehr. In europäischen Städten gibt es pro-palästinensische Demos und Gewaltakte, fast wie ein Stellvertreterkrieg vor unseren Türen. Wie beurteilen Sie den Hass gegen Israel, der sich plötzlich so stark Bahn bricht?

Das ist die zweite Front, der sich Israel und das jüdische Volk in der Diaspora ausgesetzt sehen. Man muss sich das mal vorstellen: Israel wird überfallen, 1400 werden massakriert, über 200 verschleppt und in Europa, in den USA bis nach Australien sympathisieren Hunderttausende auf den Strassen mit den Mördern. UN-Generalsekretär Guterres, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Heusgen, stellen Forderungen an Israel, die Gesetze der Humanität zu beachten. Kein Wort zu den Gräueltaten der Hamas.

Sie wollen der Welt glauben machen, dass es um „Free Palestine“ geht. Alles Unsinn. Schon allein deshalb, weil es nie ein „Palestine“ als Staat gegeben hat, keine einzige Minute, der von irgendeiner arabischen Regierung geführt wurde. Palästina ist seit 2000 Jahren eine geografische Bezeichnung für ein Gebiet, in dem Juden, Christen und Muslime – letztere erst seit dem 7. Jahrhundert – mal friedlich miteinander, mal kriegerisch gegeneinander gelebt haben. Wenn es also nie einen Staat „Palestine“ gegeben hat, kann er auch nicht befreit werden.

Ein Dauervorwurf gegen Israel

Mitschuld tragen insbesondere die Vereinten Nationen, die 2012 „Palestine“ als Mitglied mit Beobachterstatus aufgenommen haben, obwohl dieser Staat nicht existiert. Es gibt rund 60 Flüchtlingslager in der Region seit 75 Jahren, die gewaltsamen von der arabisch-muslimischen Welt aufrechterhalten werden. Sie werden als politisches Druckmittel missbraucht und dienen als Dauer-Vorwurf an Israel.

„Palestine“ musste in die UN aufgenommen werden, weil 57 arabische Staaten in den UN gemeinsam mit den dutzenden Staaten, die von ihnen abhängig sind, zahlenmässig die Mehrheit haben und massiven politischen Druck ausüben. Mit Wahrheit und Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Die UN haben sich damit selbst moralisch disqualifiziert und als Vermittler selbst ausgeschaltet.

Warum weigert sich Ägypten die Lage der Palästinenser zu verbessern? Immerhin grenzen die Länder aneinander …

Ägypten kennt doch seine Pappenheimer. Gaza war ja von 1948 bis 1967 ägyptisch besetzt. In dieser Zeit – immerhin 19 Jahre – hätten sie doch einen „Staat Palästina“ gründen können. Niemand, auch nicht Israel, hätte sie damals daran hindern können. In Kairo weiss man genau, mit wem man es hier zu tun hat. Präsident El-Sisi holt sich doch nicht ein zusätzliches hochgefährliches, aggressives Problem ins Land. Sie haben ein paar LKWs mit Hilfsmittel nach Gaza fahren lassen. Und selbst das hat zwei Wochen gedauert. Die Grenze bleibt geschlossen. Ägypten interessiert Humanität für ihre Glaubensbrüder keinen Deut.

Medien als Teil der Kriegsmaschinereie

Medien, so scheint es, sind ein Teil der Kriegsmaschinerie, wenn sie Falschmeldungen übernehmen und verbreiten, wie die von einem zerstörten Krankenhaus in Gaza am Mittwoch. Wie kann Israel seine Eigen-PR verbessern? Die Gegenseite scheint mit ihrem Opfer-Narrativ hier penetranter vorzugehen.

Deshalb hat die IDF diese Woche der internationalen Presse ein 40-minütiges Video vorgeführt. Inhalt: unkommentiertes Filmmaterial aus den Kameras und Mobiltelefonen der Terroristen. Ich habe es mir angeschaut und ich bekomme seither die Bilder und die Jubelschreie der Mörder nicht mehr aus dem Kopf: Beispiel: ein jugendlicher Hamas-Terrorist ruft während er mordet über WhatsApp zu Hause in Gaza an, will seine Familie und Freunde an seinem blutigen Tun teilhaben lassen. Seine Stimme überschlägt sich vor ekstatischer Freude, als er mehrfach wiederholt: „Mama, Mama, ich habe gerade zehn Juden getötet, mit meinen eigenen Händen, Allhu Akbar, Gott ist gross“.

Israel muss zu solchen Mitteln der Information greifen, weil es in der westlichen Welt, an den Universitäten und in den Redaktionen viele, leider zu viele gibt, die die Fakten, die Geschichte des Nahen Ostens nicht kennen oder nicht kennen wollen. Israel sieht sich einer weltweiten Welle der Desinformation ausgesetzt.

Kann Israel die Vernichtung der Hamas gelingen und welche Folgen wird das haben?

Es ist das Ziel Israels, die Hamas militärisch und politisch auszuschalten. Andernfalls ist Israels Zukunft in Frieden und Freiheit zu leben gefährdet. Es betrifft mich und meine Familie persönlich. Es muss auch ein deutliches Signal an die Unterstützer in Teheran, im Libanon und in der gesamten aggressiven islamistischen Welt gesendet werden.

Israel ist Teil des Nahen Ostens und ein erfolgreiches Mitglied in der liberal-demokratischen Staaten-Gemeinschaft. Die freie Welt muss mithelfen, denn sie sind genauso gefährdet wie Israel. Wer heute wegschaut, wird morgen weinen. Schauen Sie sich doch die Bilder der Sympathie-Kundgebungen von New York bis Berlin an. Ob Israel erfolgreich sein wird, werden wir spätestens zum Jahresende wissen. Erst danach kann es wieder politische Verhandlungen geben mit dem Ziel, den Nahen Osten zu stabilisieren.

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Klaus Kelle, Chefredakteur