„Kalkulierter Ausnahmezustand“: Ja, ich finde Relegationsspiele großartig
Das gestrige Thriller-Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und dem VfL Bochum hat wieder die faszinierende Unberechenbarkeit des Fußballsports bestätigt und ebenso den besonderen Charakter der Relegation als „Prinzip Nervenschlacht“ – einem mit langer Geschichte. Relegation, für die sonst nicht mit Fußball beschäftigten Leser, das bedeutet in den Profiligen, dass im entscheidenden Kräftemessen um Auf- und Abstieg der Drittplatzierte der tieferen Liga gegen den Drittletzten der höheren Liga antreten muss. Dabei gibt es ein Hin- und ein Rückspiel. Relegationsspiele finden nach diesem Modus sowohl zwischen erster und zweiter als auch zwischen zweiter und dritter Fußballbundesliga statt.
Anlauf, Zwischenstopp, Spannschuss – drüber
Als gestern Abend um 23.17 Uhr Takashi Uchino als insgesamt 14. Elfmeterschütze den Ball in den Düsseldorfer Nachthimmel jagte, war die Relegation entschieden – und das Drama perfekt. Nach einem 3:0 Auswärtssieg im Hinspiel schien der siebte Aufstieg für die gastgebende Fortuna im eigenen Stadion nur noch Formsache zu sein. Doch da Fußball immer auch Kopfsache ist, kam es anders. Und so feierte der VfL Bochum den kaum mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt – in der Geschichte der Bundesliga-Relegation freilich nur ein weiteres Kapitel denkwürdiger Relegationsspiele.
1982 wurde erstmals der letzte freie Startplatz für die höchste deutsche Spielklasse im direkten Duell des Drittletzten der ersten und des Drittbesten der zweiten Liga ermittelt.
Am Montagabend wurde dabei erstmals ein Drei-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel gedreht. Dabei liegt Dramatik durchaus in der Natur dieses gnadenlosen Ausscheidungsprinzips. Und nicht selten hatten spektakuläre Relegationsduelle für die beteiligten Vereine wegweisenden Charakter.
Am Pfingstmontag 1986 etwa musste der hoch favorisierte Bundesligist Borussia Dortmund im heimischen Westfalenstadion bei brütender Hitze gegen Fortuna Köln einem 0:2 aus dem Hinspiel hinterherlaufen, ehe in der buchstäblich letzten Minute „Cobra“ Jürgen Wegmann zuschlug. Ein „Biss“, von dem sich der sicher geglaubte Aufsteiger aus der Kölner Südstadt nicht mehr erholen sollte. Tags darauf, im damals noch für solche Fälle vorgesehen dritten Spiel auf neutralem Platz, deklassierten die Schwarz-Gelben einen demoralisierten und personell ausgedünnten Kontrahenten in Düsseldorf mit 8:0. Fortuna Köln klopfte danach nie wieder ans Tor zur ersten Liga und kickt heute in Liga Vier, während Borussia Dortmund bereits in der Folgesaison eine anhaltende Erfolgsära einleitete – und am kommenden Samstag im Champions League-Finale steht.
Ein drittes Spiel brauchte es auch 1988, nachdem Waldhof Mannheim und Darmstadt 98 in zwei umkämpften Begegnungen keinen Sieger gefunden hatten.
Tore fielen an jenem Juniabend im Saarbrücker Ludwigspark aber erst im Elfmeterschießen, in dem der Bundesligist aus Mannheim mit 5:4 die Oberhand behielt. Kuriosum dabei: Darmstadts Trainer Klaus Schlappner verpasste zwar knappest möglich den Aufstieg, sein „Lebenswerk“ aber hatte dadurch weiter Bundesliga-Bestand. Hintergrund: „Schlappi“ war bis just vor dieser Saison jahrelanger Erfolgscoach der Kurpfälzer gewesen und sollte später noch einmal zu Waldhof zurückkehren.
Zum ersten Mal in die Verlängerung zog sich eine Bundesliga-Relegation am 1. Juni 2015 im Karlsruher Wildpark, und das entschied sich auch erst Sekunden zuvor: Da nämlich hatte ein Chilene namens Marcelo Diaz den damals noch „Bundesliga-Dino“ Hamburger SV mit einem Freistoß-Heber in der Nachspielzeit vor dem „Aussterben“ bewahrt. Die dadurch anfallenden zweimal 15 Minuten extra Zeit – bei Wiederaufnahme der Relegation im Jahre 2009 eingeführt anstelle eines dritten Spieles – nutzten die Hanseaten mit einem weiteren späten Treffer zur Sicherung ihrer bis dato ununterbrochenen Erstligazugehörigkeit.
Doch auch eine Etage tiefer, im Spiel um die Zugehörigkeit zur Zweiten Liga, ergibt sich Stoff für wahre Thriller. Deren wohl größter ereignete sich am 19. Mai 2014 auf der Bielefelder Alm und gilt selbst altgedienten Augenzeugen bis heute als „schlimmstes Fußball-Drama“: Nach einem souveränen 3:1 Sieg in Darmstadt wähnten sich die Ostwestfalen im falschen Film, als im eigenen Stadion der vermeintlich längst geschlagene Drittligist Darmstadt 98 plötzlich den Spieß umdrehte und eine Verlängerung erzwang. Dort brachte ein Treffer zunächst alles wieder ins Bielefelder Lot. Doch ein Spiel dauert eben nicht immer nur 90 Minuten, sondern manchmal auch 122. Und genau da schickte Elton da Costa mit seinem Treffer die Bielefelder Arminia in die Dritte Liga – wo sie heute immer noch, beziehungsweise wieder, ist.
Nicht selten also haben diese „K.O.-Spiele“ ihrer Bezeichnung alle Ehre gemacht. Sie sind und bleiben ein kalkulierter Ausnahmezustand. Ein Hochamt des Fußballsports mit seinen jederzeit möglichen Wendungen, zugespitzt im direkten Duell. Und trotz aller Kritik an den aufgrund der Ligazugehörigkeiten mitunter stark unterschiedlichen Kaderqualitäten beweist die Relegation immer wieder: Momentum kann Voraussetzung stechen.
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