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Idenfitikationsfaktor geht verloren

Kommen wir nochmal auf Bayerns Klatsche gegen Mainz zurück….

ARCHIV – Bayerns Vorstandschef Oliver Kahn (l) hat den Druck auf das Team von Trainer Thomas Tuchel erhöht. Foto: Angelika Warmuth/dpa

von JULIAN MARIUS PLUTZ

MÜNCHEN – Pep Guardiola konnte es nicht fassen, als Philip Coutinho zum 2:7 und dann zum 2:8 einnetzte. Noch dazu gegen diesen großen FC Barcelona in diesem bombastischen Stadion, das auf den Namen Camp Nou hört. In dem Hexenkessel, in dem Guardiola Jahre zuvor Fußballgeschichte schrieb, schrieb auch der FC Bayern am 14.August 2020 Fußballgeschichte. Eine Studie in Brillanz und Überlegenheit. Zwar war dem Spanier in der Zeit beim Rekordmeister der Titel der Champions League verwehrt; doch was man sagen kann ist, dass Pep das Spiel der Münchner revolutioniert hatte. Eine Mischung aus Leidenschaft, “Mia san Mia” Mentalität und einer fußballerischen Präzision, die ihresgleichen suchte. Ob 7:1 gegen den FC Salzburg, 5:1 gegen Arsenal London, oder 5:1 gegen den BVB. Dominanz war ein Meister aus Süddeutschland.

Knapp drei Jahre später ist von der Brillanz nichts mehr übrig

Mit 3:1 Toren verlor der FC Bayern gegen Mainz 05. Oliver Kahn sagte nach dem Spiel völlig zurecht, dass der Verein so nicht Meister werde. Im Gegenteil: “Es war der andere Verein mit den roten Trikots, die um jeden Zentimeter kämpften und den unbedingt gewinnen wollten”. Und das tat das Team aus Rheinland-Pfalz auch. Nach einer mittelmäßigen, aus bayerischer Sicht zwar erfolgreichen, aber spielerisch blutarmen ersten Halbzeit patzte der Torhüter Yann Sommer. 1:1. Danach brachen die Bayern ein und Mainz dominierte das Spiel. 2:1. Aufbäumen seitens des amtierenden Meisters? Fehlanzeige. Das 3:1 war nur noch folgerichtig und dürfte ein weiteres Beweismittel für die größte Krise in der Säbener Straße seit Jahren sein.

“Mia san mir” als Idenfitikationsfaktor geht verloren

Das Ergebnis, aber auch die Ergebnisse der letzten Wochen, wirft Fragen auf. Erstens: Wo sind die Führungsspieler? Joshua Kimmich dürfte langsam in dem Alter sein. Die Spielerfahrung hat er längst gesammelt, seine Körpersprache wirkt oft eindeutig, seine Worte nach dem Spiel unmissverständlich klar. Doch auch Kimmich leistete sich einen dicken Patzer, als er nach einem Rückpass den Ball vertändelte. Thomas Müller? Über den Zenit und das nicht erst seit gestern. In guten Spielen brilliert der drahtige Münchner, in schlechten Spielen ist er unsichtbar. Doch gerade in solchen Spielen erwartet man vom Kapitän Präsenz während des Spiels und nicht nach dem Spiel, wenn die Kameras und Mikrofone offen sind.

Das Team wirkt führungs- und leidenschaftslos. “Mia san mia” war immer eine Selbstverständlichkeit. Von den Gegnern belächelt, wenn nicht gefürchtet. Für die Fans ist das Motto nicht mehr als die FC Bayern DNA in drei Silben. “Mia san mia” heißt bis zur 93. Minute kämpfen und in knappen Spielen bis zum Abpfiff alles zugeben. Oft klappte es auch, was Neider dann den “Bayerndusel” tauften. Aber eigentlich war es “Mia san mia”. “Mia san mia” heißt auch Oktoberfest, Tracht und Weißbierdusche. Ein wenig Lokalkolorit auch für Spieler aus Brasilien, Spanien oder Polen. Es gehört dazu, weil es dazu gehört. Weil es ein wichtiger Identifikationsfaktor ist, den andere Vereine nicht haben.

Drei Lautsprecher und kein Führer

Am Samstag, aber auch die Spiele davor, waren fernab von “Mia san mia”. Woran es liegt, darüber kann man nur spekulieren. Eine Möglichkeit könnte im veränderten Machtverhältnis jenseits des Trainers liegen. Seit dem Abgang von Hoeneß und Rummenigge scheinen die Hierarchien nicht mehr zu stimmen.In den Medien sieht man drei Funktionäre: Sportvorstand Salihamidzic, Präsident Heiner und Vorstandsvorsitzende Kahn. Nach dem Spiel gegen Mainz spielten sich bezeichnende Szenen ab. Alle drei gingen schnurstracks in die Kabine, um mit ihren Kickern zu sprechen.

Weshalb gleich alle drei? Was hat ein Vorstandsvorsitzender mit dem operativen Geschäft auf dem Platz zu tun? Ist Salihamidzic als Sportvorstand überfordert? Und welche Rolle spielt Oliver Kahn? Früher war es einfach. Uli Hoeneß war für die lauten Töne zuständig. Ob nach dem Spiel oder beim Doppelpass. Rummenigge war zwar auch in den Medien präsent, hielt sich aber, bis auf einen urpeinlichen Auftritt, in dem das arme Grundgesetz herhalten musste, war der ehemalige Offensivspieler eher der Mann für die leisen Töne. Seit beide abgetreten sind, gibt es bei Bayern drei Lautsprecher. Aber kein Führer.

Tuchel gilt als charakterlich schwierig

Immerhin sind sich alle drei, zumindest noch, einig. Es liegt nicht am Trainer. Dafür ist Thomas Tuchel nicht lange genug an der Säbener Straße. Warum Nagelsmann gehen musste, darüber rätseln viele. Ob es an dem schlechten Verhältnis zum Triumvirat lag, oder an seinen harten Trainingsmethoden, die einzelne Spieler schlicht überforderten, darüber kann nur spekuliert werden. Fakt ist: Julian Nagelsmann ist ein wahrhaftiger Könner in seiner Profession, ebenso wie Thomas Tuchel. Doch der ehemalige Mainzer Trainer gilt als charakterlich schwierig.

Eine Enthüllung des Journalisten Piet Gottschalk rund um den Bombenanschlag auf den Bus des BVB, der Verein, bei dem Tuchel zu der Zeit Trainer war, wirft mehr Fragen als Antworten auf. Zwar beschwerte er sich nach dem Wiederholungsspiel, das aufgrund des Anschlages bereits einen Tag später stattgefunden hat (2:3 Niederlage für Dortmund) lautstark, seine Spieler und er wurden überhaupt nicht in die Entscheidung eingebunden, dennoch soll Tuchel eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

Es braucht einen personellen Schnitt jenseits des Trainers

Der Verein habe den Spielern freigestellt, ob sie auflaufen wollen oder nicht. Einzelne Kicker hätten dann das Wort ergriffen und die schnelle Ansetzung der Partie kritisiert, wie Gottschalk in seinem Buch “Kabinengeflüster” schrieb. Auch Tränen sollen geflossen sein. Thomas Tuchel soll mit dem Verhalten seiner Mannschaft überhaupt nicht einverstanden sein. Es soll von ihm sogar der Satz gefallen sein: “Und mit solchen Weicheiern soll ich die Bayern schlagen?”

Charakter hin oder her: Tuchel wird sich beweisen müssen. Im Jahr 2020 galt der Doppeltorschütze im Spiel gegen Barcelona Coutinho als Fehlbesetzung und verließ nach nur einem Jahr den Verein. Im aktuellen Kader scheint es mehr als nur einen Fremdkörper zu geben. Von Mané bis Thomas Müller: Der FC Bayern muss einen personellen Schnitt hinkriegen, um wieder zu alter Stärke zurückzufinden. Und vielleicht braucht es auch einen personellen Schnitt in der sportlichen Führung.


Mehr Berichterstattung

von THILO SCHNEIDER FRANKFURT/M. – Aus! Aus! Das Spiel ist AUS! Für „Deutschland“. Ich habe nicht viel Lust, diesen Artikel zu schreiben, ich quäle mich hier durch die Chronistenpflicht.

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Klaus Kelle, Chefredakteur