Netflix erinnert an den Serienmörder Ed Gein, nach dem „Psycho“ und „Das Schweigen der Lämmer“ gedreht wurden
Was fasziniert Menschen an Serien- und Massenmördern? Ich werde das nie verstehen, so wie ich auch keine Horrorfilme anschaue, die mit Strömen von Blut und ständigen Schockmomenten aufwarten. Wenn der Horror feinsinnig daherkommt, wenn sich alles im eigenen Kopf abspielt, dann interessiert es mich mal, aber wirklich nur selten. „Rosemarie’s Baby“ aus 1968 nach einem Roman von Ira Levin, von Roman Polański für die Leinwand geschaffen, ist so ein Meisterwerk.
Im Lexikon des internationalen Films heißt es dazu: „Polańskis raffinierter Horrorfilm spielt effektvoll mit traditionellen Formen des Aberglaubens, die er mit modernen psychoanalytischen Motiven verbindet. Die hintersinnige Story von der ‚jungfräulichen‘ Mutter, die von ihrem Gatten an den Teufel verkauft wird, verdankt ihre Wirkung nicht plumpen Schocks, sondern einer subtilen Spannungsdramaturgie: Das Grauen erwächst langsam aus der scheinbar ‚normalen‘ Alltagsrealität des modernen Großstadtlebens, das den Nährboden für Angst, Entfremdung und Paranoia bildet.“
Das Grauen erwächst langsam aus dem normalen Alltag
Das gefällt mir als jemandem, der Tag für Tag darüber schreibt, wie das Grauen in unserer Gesellschaft immer stärker wird.
Und auch Roman Polański erlebte, wie die Grenze von Fiktion und der Realität fließend ineinander übergehen kann.
Denn am 9. August 1969 drangen vier Mitglieder von Charles Mansons „Familie“ in ein schickes Wohnhaus am 10050 Cielo Drive in Los Angeles ein. Dort lebte die 26-jährige hochschwangere Sharon Tate, Ehefrau von eben diesem Regisseur Polański, der im Jahr zuvor ein Meisterwerk des Horros-Genres geschaffen hatte, und der sich gerade zu Dreharbeiten in London aufhielt.
Manson hatte vier Anhänger seiner „Familie“ – Susan Atkins, Linda Kasabian, Patricia Krenwinkel und Charles Watson – befohlen, in das Haus einzudringen, weil die Zeit für
„Helter Skelter“, den von ihm vorhergesagten Krieg der Rassen, nun gekommen sei. Gegen Mitternacht erreichten sie das Wohnhaus, wo Tate und vier Freunde nach einem Abendessen noch zusammensaßen,
Die Täter durchtrennten die Telefonleitungen, drangen ins Haus ein und töteten in einem wahren Blutrausch die Schauspielerin, ihr ungeborenes Kind und drei weitere Personen. Beim Verlassen des Hauses schrieben sie mit Tates frischem Blut „PIG“ an die Haustür.
Sowas muss ich mir nicht als Film zur Abendunterhaltung antun
Aber viele tun das – in den sogenannten „True Crime“-Serien, die es im Privatfernsehen ohne Ende gibt. Und natürlich bei den Streamingdiensten. Da schaue ich rein, wenn es um Fälle aus der Region geht, oder um Fälle, die besonders spooky“ sind, wie der des bis heute verschwundenen Lars Mittang. Er war mit Freunden in Bulgarien in Urlaub, und von seinen letzten Minuten existiert ein bizarres Video von einer Überwachungskamera des Flughafens, das den Jungen aus Niedersachsen panisch vor irgendetwas weglaufend zeigt. Ja, ich gebe zu, „Suspence“, was Altmeister Alfred Hitchcock in seinen Filmen zur höchsten Vollendung entwickelte, das packt mich auch.
Auf Netflix gibt es eine Serie mit dem schönen Namen „Monster“
Zwei Staffeln wurden schon erfolgreich gezeigt und fanden ein Millionenpublikum. Es handelte sich um Dokumentationen über den berühmten Serienkiller Jeffrey Dahmer und dann um die blutige Geschichte der Brüder Lyle und Erik Menendez“, die in Beverly Hills ihre Eltern töteten.
Jetzt startet Netflix „Monster“, die dritte Staffel.
Die wird möglicherweise auch die Aufmerksamkeit von manchen von Ihnen finden, denn darin geht es um den Serienmörder Ed Gein. Dessen tatsächliche Geschichte ist so der Horror, dass damit gleich drei spektakulär beunruhigende Filme gedreht wurden: „Psycho“, „Das Schweigen der Lämmer“ und „Texas Chainsaw Massacre“.
Gein, 1906 in Wisconsin geboren, gilt als Serienmörder, ist aber – genau genommen – gar keiner. O.k., sicher sind im zwei Morde zuzuordnen. Die Ermittler gehen auch von weiteren Morden aus, die sie aber nicht beweisen konnten. Vielleicht war er nebenbei auch nur ein Grabschänder.
Als man Gein endlich fasste, der von Beruf Leichenbestatter war, fand man bei seiner Festnahme und der folgenden Durchsuchung seines abgelegenen Bauernhofs im Jahr 1957 die Leiche seines Opfers Bernice Worden, einer Ladenbesitzerin. Ihr fehlte der Kopf, und sie hing in einem Schuppen kopfüber aufgehängt.
Die Polizisten fanden zahlreiche Gegenstände, angefertigt aus menschlichen Knochen und Menschenhaut, darunter Masken, eine Schüssel aus einem Schädel, ein Lampenschirm aus Haut, ein Stuhl mit menschlichem Hautbezug und ein Korsett aus einem weiblichen Torso.
Im Detail fanden die Ermittler:
Zehn sauber abgelöste Kopfschwarten, eine aus einem Schädel gefertigte Schüssel, mehrere Masken aus Gesichtshaut, eine Anzahl menschlicher Hautstücke (teilweise zwischen den Seiten von Zeitschriften), einen Gürtel aus Brustwarzen, weibliche Brüste und Geschlechtsorgane, präparierte Lippen, eine Schachtel mit Nasen, ein „Frauenanzug“ („Woman suit“) in der Form einer Weste, aus präparierter Menschenhaut mit Brüsten und mit Menschenhaut bezogene Stühle
Wohlgemerkt, das entstammt nicht dem kranken Hirn eines Buchautors im Stil von Thomas Harris‘ „Roter Drache“, das ist die Realität.
„Roter Drache“ kaufte ich mir übrigens einst aus Langeweile am Frankfurter Flughafen, bevor ich in einen Flieger in die USA einstiegt. Hoch über dem Ärmelkanal fing ich an, es zu lesen, und auf Seite 43 legte ich es erstmal beiseite mit dem Gedanken, wie krank jemand sein muss, der sich so eine Geschichte ausdenkt. Später habe ich es natürlich bis zum Ende gelesen und auch die beiden Filme angesehen..
Gein gestand, die Leichen von Friedhöfen in der Umgebung gestohlen zu haben
Und weil er gerade schonmal dabei war, gestand er auch noch den Mord an der Tavernen-Besitzerin Mary Hogan im Jahr 1954.
Psychologen und Profiler machten später den starken Einfluss seiner Mutter, die dominant und frauenfeindlich gewesen sein soll, für seine schweren psychischen Störungen verantwortlich. Als „Mom“ 1945 starb, drehte Ed Gein langsam durch, weinte tagelang und vernachlässigte selbst seine Körperpflege. Er starb im Alter von 77 Jahren im Jahr 1984 an Lungenkrebs und Atemstillstand.
Immerhin erfahren wir viele weitere Dinge, die man eigentlich nicht wissen will
Etwa, dass Gein bei seinen Vernehmungen energisch jegliche Neigung zum Kannibalismus abstritt, weil tote Körper zu unangenehm riechen.
So, jetzt höre ich auf. Ich bin sicher, viele Millionen Menschen werden sich das auf Netflix anschauen und dabei Kartoffelchips mit Paprika essen. Ich hoffe, sie lassen wenigstens nicht ihre kleinen Kinder daneben sitzen und zuschauen…
Neueste Kultur
Spendenaufruf
+++ Haben Sie Interesse an politischen Analysen wie diesen?
+++ Dann unterstützen Sie unsere Arbeit
+++ Mit einer Spende über PayPal@TheGermanZ
oder einer Überweisung auf unser Konto DE03 6849 2200 0002 1947 75 +++
Klaus Kelle, Chefredakteur