Über die schöpferische Kraft des Fabulierens
Die Melancholie des Meeresrauschens: Katerina Poladjans neuer Roman „Goldstrand“
Die Goldküste am Schwarzen Mer in Bulgarien
Wer Katerina Poladjan liest, muss sich auf das Ungefähre einlassen können. Die 1971 in Moskau geborene und in Deutschland aufgewachsene Autorin hat sich über Jahre hinweg den Ruf einer literarischen Präzisionskünstlerin erarbeitet, die das Große im Kleinen findet. In ihrem neuesten Roman „Goldstrand“, erschienen im Frühjahr 2025, perfektioniert sie diese Kunst der Andeutung.
Poladjan, die spätestens seit ihrem Erfolg mit „Zukunftsmusik“ als eine der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gilt, führt uns dieses Mal an die bulgarische Schwarzmeerküste – doch dieser Ort ist weniger ein geografisches Ziel als vielmehr ein Zustand ihrer Seele.
Der Roman entfaltet sich als ein flimmerndes Mosaik der Erinnerungen, das im Kopf des alternden italienischen Filmregisseurs Eli Gestalt annimmt.
Während er in Rom auf der Couch seiner Psychoanalytikerin liegt, spult er das Material seines Lebens ab, als wäre es ein ungeschnittener Film. Poladjan webt daraus eine Familiensaga, die das 20. Jahrhundert in all seiner Zerrissenheit spiegelt: von der Flucht aus Odessa im Jahr 1922 über die faschistischen Verstrickungen der italienischen Verwandtschaft bis hin zu jener schicksalhaften Brigade-Reise von Elis Mutter Francesca an den bulgarischen Goldstrand in den 1950er-Jahren.
Was diesen Roman so bestechend macht, ist die Leichtigkeit, mit der Poladjan zwischen den Zeiten gleitet.
Sie beherrscht das Handwerk der literarischen Überblendung so virtuos wie ihr Protagonist das filmische. Der Goldstrand ist dabei das flirrende Zentrum – ein Ort der Verheißung, an dem Eli zwischen Sozialismus und Sehnsucht gezeugt wurde und wo er später, als kleiner Junge an der Hand seines Vaters, nach der verschwundenen Tante Vera suchte.
Poladjans Werk ist ein Triumph der Verdichtung
Auf kaum mehr als 160 Seiten gelingt Poladjan etwas, wofür andere Autoren hunderte Seiten benötigen – sie macht die Geschichte Europas fühlbar, ohne je belehrend zu wirken. Ihr Stil ist geprägt von einer heiteren Melancholie; sie schreibt Sätze, die wie flache Kiesel über das Wasser springen, bevor sie tief unter der Oberfläche versinken. Dabei lässt sie bewusst Leerstellen, die der Leser selbst füllen muss. Wer nach einer harten, chronologischen Handlung sucht, mag sich in diesem assoziativen Strom bisweilen verlieren, doch genau darin liegt der Reiz: „Goldstrand“ ist ein Buch über die Unzuverlässigkeit der Erinnerung und die schöpferische Kraft des Fabulierens.
Katerina Poladjan beweist mit „Goldstrand“ erneut, dass sie eine Meisterin der Atmosphäre ist. Sie zeichnet das Bild einer Familie, die über Kontinente und Ideologien hinweg zerstreut ist und doch durch ein gemeinsames Rauschen verbunden bleibt – das Rauschen des Meeres und der eigenen Legenden. Es ist ein kluger, zarter und zutiefst europäischer Roman, der zeigt, dass Heimat oft nur aus den Geschichten besteht, die wir uns selbst über sie erzählen.
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