Etwas für zünftigen Meinungsstreit: Ramadankalender neben Schoko-Osterhase – Warum wir uns über die falschen Skandale aufregen
von CHRISTIAN KOTT
Ab dem 13. April startet der islamische Fastenmonat Ramadan. Trotz der scheinheilig geheuchelten Gratulationen deutscher Spitzenpolitiker an eine Wählergruppe, die nun wirklich keine Gratulationen von Ungläubigen möchte, ist das eigentlich ein Ereignis, dass bei denjenigen, die es nicht betrifft auf tiefes Desinteresse stoßen sollte.
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn eine namhafte Supermarktkette, der Religionen und Fastenmonate völlig Wurscht sind, die aber gerne mit den knapp fünf Millionen Muslimen in Deutschland kräftig Geld verdienen möchte, einen „Ramadankalender“ im Stile eines Adventskalenders zwei Regale neben das Ostersortiment stellt, dann regen sich Tausende selbsternannte Hausmeister in Deutschland darüber auf. Unwidersprochen dürfen diese Bildungsfernen von den „christlich-jüdischen Werten“ daherschwafeln, die angeblich in Deutschland gelten, und die es angeblich wenigstens moralisch verbieten, einen Pappkarton mit Halal-Süßigkeiten in einem echten, urdeutschen Supermarkt zu verkaufen.
Christlich-jüdische Werte? Wieso widerspricht da eigentlich niemand? Unsere Gesellschaftsordnung fußt nämlich viel weniger auf den 10 Geboten und der Bergpredigt als viel mehr auf Friedrich dem Großen, der französischen Revolution und der Aufklärung.
Friedrich der Große war es, der den bis heute vorherrschenden Umgang mit Religionen manifestierte als er sagte, „Die Religionen müsen alle tolleriret werden und mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der anderen Abruch tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden.“
Weniger bekannt ist sein viel weiter gehendes Zitat: „Alle Religionen sindt gleich und guht wan nuhr die Leute so sie profesieren erliche Leute seindt, und wenn Türken und Heiden kähmen und wolten das Land popliren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen.“
Für die damals übliche Rechtschreibung kann ich nichts, aber den Inhalt mag sich der Eine oder Andere, der sich über einen Ramadankalender im Supermarkt echauffiert, vielleicht mal vergegenwärtigen.
Die französische Revolution war es, die mit der ständischen Ordnung aufräumte und den heute noch durch die Gesellschaftsordnung atmenden Grundsatz „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ aufstellte.
Und die Aufklärung war es, die Vernunft und den kategorischen Imperativ nicht nur in das deutsche sondern in das fortschrittliche Denken ganz Westeuropas verwurzelte, was sich dann zur Grundvoraussetzung für Freiheit und Wohlstand entwickelte.
Unser Problem sind also nicht der Einzug von islamischen Kalendern in unsere Gesellschaft, denn gegen welchen gesellschaftlichen Konsens das (außer dem Märchen von den christlich-jüdischen Werten) eigentlich verstoßen sollte, lassen die Hysteriker in ihren Wutausbrüchen darüber bezeichnenderweise auch immer dahinstehen.
Das eigentliche Problem ist die Ursache solcher undurchdachter Abwehrreaktionen gegen das, was uns doch völlig egal sein könnte: Wir haben vollständig verlernt, zu differenzieren und die richtigen Parameter für unsere Einordnung zu bestimmen.
Was Friedrich der Große mit seinem zweiten Zitat (auf heutiges Deutsch übersetzt) meinte ist: „Es ist völlig egal, ob Du ein Moslem, Christ oder sonst irgendwas bis, solange Du ein anständiger Kerl bist.“
Die Abwehrhaltung gegen einen Pappkalender zielt auf „die Muslime“ ab. Die sollen gefälligst aus „unserem“ Supermarkt heraus bleiben! „Die Muslime“ ist für die Beurteilung, ob jemand anständig ist, genauso untauglich wie „Die Katholiken“ oder „Die Fliesentischbesitzer“. Nicht Muslime sind das Problem sondern Menschen, die anderen vor laufender Kamera den Kopf absäbeln, ihre Töchter und Frauen auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren und zwingen, ein Kopftuch zu tragen, Tiere mit betäubungsloser Schächtung zu Tode foltern oder Homosexuelle an Baukränen aufhängen.
Katholiken sind ja auch nicht das Problem, sondern einige Menschen, die kleinen Jungs zwischen die Beine greifen und das dann jahrelang vertuschen.
Alle ungelösten Probleme, die wir in unserem Land seit Jahrzehnten vor uns her schieben, sind auf Schubladendenken, Pauschalisierung und vor allem fehlende Differenzierung zurückzuführen. Weil Probleme heutzutage komplizierter sind als zu den Zeiten Friedrichs des Großen lösen wir sie lieber erst gar nicht. Stillstand können wir uns aber nicht länger leisten.
Differenzierung, Resilienz und Problemlösungskompetenz gehörten einmal zu den Stärken dieses Landes. Wenn wir nicht sehr schnell damit aufhören, unserer Zeit mit Pappkalendern zu verschwenden und uns nicht endlich an diese ehemalige Kernkompetenz erinnern, werden wir den ewigen Kampf gegen die Unanständigen verlieren.
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Klaus Kelle, Chefredakteur