An diesem Tisch im Kanzleramt fanden Amerikaner und Europäer wieder zusammen
Viele internationale Medien feiern heute die Ergebnisse der Friedensgespräche gestern im Kanzleramt, die zumindest eins eindrucksvoll belegt haben: Die Europäer sind noch lang nicht aus dem Spiel und sie sitzen auch nicht am Katzentisch. Sie sind selbstbewusst mittendrin.
Ich weiß noch, wie am Montagmorgen in den Sozialen Netzwerken darübr gelästert wurde, dass US-Unterhändler Jared Kushner den Gastgeber Friedrich Merz zwischendurch bat, mal aus dem Zimmer zu gehen, damit er mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj allein reden kann.
Da war allerdings gar nicht so ungewöhnlich für derartige Verhandlungen um Krieg oder Frieden, dass die Gesprächsrunden immer wieder mit wechselnden Teilnehmern umgruppiert oder bilateral geführt werden.
Denn tatsächlich ist die Rolle des deutschen Bundeskanzlers in der ganzen Angelegenheit deutlich wichtiger, als nicht nur Spötter, sondern auch internationale Beobachter vorher für möglich gehalten haben.
Denn dass sich im Kanzleramt in Berlin gestern die beiden wichtigsten amerikanischen Verhandler Seite an Seite mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenksyj, zehn europäischen Staats- und Regierungschefs, dem NATO-Generalsekretär, dem EU-Ratspräsidenten und der Kommissionspräsidentin gut gelaunt zum Gruppenfoto aufstellen und sich zu einer gemeinsamen Erklärung mit konkreten Aussagen zur Realisierung eines Waffenstillstands in der Ukraine bekennen – nach diesem Moment sah es lange nicht aus.
Aber man darf auch nicht die Rechnung ohne den Wirt machen
Denn was da gestern verhandelt und dann beschlossen wurde, ist die Position des Westens.
Die Begleitmusik aus Moskau war eher Murren hinter den Kremlmauern und so wenig konstruktiv wie im ganzen Jahr, in dem sich US-Präsident Donald Trump bereits seit dem ersten Tag im Oval Office um Frieden in der Ukraine bemüht. Russland will diesen Frieden nicht, Russland will den Krieg weiterführen, bis es seine Eroberungsziele zu 100 Prozent erreicht hat.
Ziemlich sicher ist, dass es das nicht kann
Zu schwach sind seine Streitkräfte. Die Sanktionen des Westens greifen längst und fügen der russischen Wirtschaft sichtbar schweren Schaden zu. Und ohne die Hilfe aus Peking und Neu Dehli wäre längst Feierabend im Kreml.
Aber China und Indien sind Schwergewichte auf der Welt. Sie liefern, was die Russen brauchen, und sie kaufen billig, was Russland an Bodenschätzen zu bieten hat. Und sie verlängern damit aktiv diesen von Anfang an sinnlosen Krieg, der in den knapp vier Jahren Hunderttausende Menschenleben gefordert hat.
Aber nehmen wir mal an, auf Basis der Ergebnisse gestern würde ein ernsthafter Dialog mit Wladimir Putin entstehen. Und noch einmal: Ich glaube nicht daran, weil ich mir über diesen Mann keine Illusionen mache.
Aber wenn es jetzt losgeht, dann sitzen die Europäer nicht am Katzentisch, sie sitzen im Zentrum von allen. Und der deutsche Regierungschef hat eine klare Haltung und zieht die richtigen Strippen zusammen mit den Briten und Franzosen, aber auch Italien und den Skandinaviern, Polen und den Balten.
Irgendwann, wenn das alles vorbei ist, wird man sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob die europäische Staatengemeinschaft Mitglieder wie Ungarn und die Slowakei noch braucht und dabei haben will, die ständig ausscheren und die gemeinsame Phalanx der europäischen Staaten durch Querschüsse beeinträchtigen. Wenn Viktor Orban und Robert Fico lieber ein Bündnis mit Russland, Kasachstan und Tadschikistan machen wollen, ist das fein für mich. Gut Reise!
Die Gespräche gestern waren jedenfalls nicht nur sinnvoll, sie haben irgendwann eine Eigendynamik entwickelt
Als man am Montag erstmals zusammensaß, erinnerte die Szenerie eher an schwierige Tarifverhandlungen. Merz und Selenskyj mit ihren Leuten auf der einen Seite des Tisches, Trumps Unterhändler auf der anderen.
Später wurde aber bekannt, dass die Amerikaner zu den Verhandlungen mehr mitgebracht hatten, als sie vorher noch bereit waren, beizusteuern.
Und dies besonders für die zukünftige Sicherheit der Ukraine
Friedrich Merz stellte gestern klar: „Wir werden die Fehler von Minsk genau an dieser Stelle nicht wiederholen!“
Und so einigten sich Amerikaner und Europäer auf einen „Mechanismus zur Waffenstillstandsüberwachung und -verifikation“. Dazu gehört, dass die USA zusagten, eine von Europa geführte „multinationale Truppe für die Ukraine“ zu unterstützen.
Verschiedene europäische Staaten haben sich verpflichtet, die Ukraine im Fall eines Waffenstillstands oder Friedens mit eigenen Streitkräften zu unterstützen. Und ganz klar: Deutschland und die Bundeswehr wären führend dabei, auch als Ausdruck einer wieder deutlich wachsenden Relevanz unseres Landes auf der internationalen Bühne.
Wie wird der Kreml reagieren?
Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist wohl vom Tisch, einer der Kernpunkte auf Putins Agenda. Den hätt man allerdings auch bekommen können, ohne vorher vier Jahre Krieg zu führen und Hunderttausende Menschen zu töten.
Der wichtigste noch ungelöste Themenkomplex ist jetzt die Zukunft des Donbass, die nach Moskauer Lesart russisch sein muss.
Putin fordert dabei Gebiete in der Region Donezk, die von seiner Armee gar nicht kontrolliert werden. Dies am grünen Tisch herzuschenken, hieße den Kriegstreiber für sein schändliches Tun zu belohnen. Nur die Ukraine könne über Gebietsverzichte entscheiden, bekräftige deshalb der Bundeskanzler gestern noch einmal. Aber, so Selenskyj: „Ich sehe es nicht so, dass die USA etwas verlangt haben.“
Die USA seien nur der Vermittler zwischen Moskau und Kiew. Offenkundig ist aber nun auch, dass di USA in diesem Konflikt nicht Partei sind. All das Gerede von geheimen Deals mit Russland über die gemeinsame Ausbeutung ukrainischer Bodenschätze oder über irgendwas, das Putin angeblich gegen Trump in der Hand habe, erweisen sich immer deutlicher als Framing und dummes Gequatsche in den sozialen Netzwerken.
Nun ist, wieder einmal, Moskau am Zug…
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Klaus Kelle, Chefredakteur