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Der Telegram-Chef sitzt immer noch in Haft

Der Fall Durow ist ein Alarmzeichen für uns alle: Westliche Demokratien sperren keine Journalisten ein

KLAUS KELLE
Telegram-Chef Pawel Durow.

Es entbehrt schon nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Putins Russland in diesen Tagen seinem Staatsbürger Pawel Durow Unterstützung angeboten hat. Denn der 37-jährige Milliadär und Chef der Messenger-App Telegram befindet sich derzeit in eine „etwas misslichen Lage“, wie die linksextreme taz dazu süffisant schrieb. Und tatsächlich, als Durow am Samstagabend im Privatjet aus Baku (Aserbaidschan) einschwebte, um im Paris mit einigen Freunden zu Abend zu essen, erlebte er eine unliebsame Überraschung. Nach Verlassen seines Jets auf dem Geschäftsflughafen Le Bourget klickten die Handschellen für den smarten Medien-Tycoon.

Sein Soziales Netzwerk Telegram, das er einst zusammen mit seinem Bruder Nikolai gegründet hatte, ist heute die Konkurrenz schlechthin für den amerikanischen Marktführer WhatsApp. 950 Millionen Nutzer hat Telegram weltweit, und besonders wichtig: 35 Millionen davon in der Russischen Föderation. Telegram ist seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für Russen wie Ukrainer das mit Abstand wichtigste Info-Netzwerk. Hier posten einflussreiche Militärblogger die aktuellen Fort-und Rückschritte an Fronabschnitten, hier äußern sich hochrangige Militärs und Politiker der Kriegsparteien direkt, hier suchen Geheimdienstler und Journalisten ihre Informationen für Analysen und Geschichten.

Im Ukraine-Krieg ist Telegram als Informationsmedium unverzichtbar

Durows guter Ruf in der globalen Internet-Gemeinschaft gründet sich darauf, dass er mit seiner vormaligen Plattform VKontakte immer wieder wagte, sich russischen Zensurbehörden zu widersetzen. Die forderten regelmäßig von Durow, Oppositionelle zu sperren, was der ebenso regelmäßig konsequent ablehnte. Der USP, wie Medienleute und Werber das nennen, die Unique Selling Proposition, das Alleinstellungsmerkmal bei Durow und Telegram, soll die maximale Redefreiheit, weitab von Moderatoren, Einschränkungen und politischer Einflussnahme sein. Viele unserer Leser und meiner Freunde haben sich mit Beginn des Ukraine-Krieges bei Telegram registriert, teilweise gleichzeitig sogar WhatsApp verlassen.

Ich bin auch auf Telegram als Journalist, der tagesaktuell arbeitet

Aber ich bin nicht aktiv dort, sondern lese nur, wenn es für meine Recherche hilft.

Telegram bietet tatsächlich fast uneingeschränkt Platz für Inhalte, leider auch für unschöne Inhalte, also für Demokratiefeinde, Rassisten, Kriegshetzer, Pädophile. Das alles und gleichzeitig das Vermeiden jeglicher Kooperation mit Behörden und Regierungen ist vielen ein Dorn im Auge. Pawel Durow erlebt das gerade erneut, denn wie man hört, lehnte er auch in dem 96-Stunden-Gewahrsam in Frankreich jede Kooperation mit den Ermittlern konsequent ab.

Man darf gespannt sein, wie das ganze ausgeht, denn wenn ein französisches Gericht Durow die Billigung und Förderung von Straftaten wie Hassreden und Gewaltaufrufen nachweist und ihn für schuldig erachtet, drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft.

Gut möglich, dass die Festnahme Durows ein Warnschuss ist. Seht her, auch diese Leute sind nicht unantastbar. Wer nicht kooperiert, wer sich den Wünschen der Mächtigen widersetzt, der landet am Ende des Tages in einem dunklen Verlies. Vorbei dann mit Privatjets und schnell mal einschweben zum Abendessen in Paris.

Eine Demokratie, ein Rechtsstaat nach westlichem Vorbild macht so etwas nicht. Die Staatsmacht holt nicht morgens einen unliebsamen Medienmacher in Falkensee aus dem Bett und verbietet seine Zeitung. Und sie sperrt auch keine Macher globaler Netzwerke ein. Weil es das Wesen freier Gesellschaften ist, dass so etwas nicht passieren darf. Nicht bei Jürgen Elsässer und „Compact“, nicht bei Pawel Durow und Telegram. Dass solche Dinge aber dennoch zunehmend vorkommen, ist ein Alarmzeichen für uns alle.

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Klaus Kelle, Chefredakteur