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Sieht so Neutralität aus?

Neutralität nutzt immer dem Aggressor – die Schweiz und ihr Geschäftsmodell

von THILO SCHNEIDER

BERLIN – Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Sie werden Zeuge, wie eine Frau von einem Mann überfallen wird. Er schlägt sie brutal nieder und entwendet ihr Geldbörse und Kleidung. Sie ruft um Hilfe. Würden Sie dann sagen: „Sorry, aber ich bin neutral und mische mich nicht in fremde Angelegenheiten“?

Der Täter hört Sie, bedankt sich und gibt Ihnen Geld und Kleidung zur Aufbewahrung, er holt sie dann später ab. Und Sie nehmen beides dankend an. Sie sind schließlich neutral. Das kommt Ihnen jetzt arg konstruiert und surreal vor? Ist aber eine Tatsache. Denn ungefähr so verhält sich die Schweiz im Ukraine-Konflikt. Munition können sie zwar keine liefern, die Schweizer, weil wegen „neutral“, haben aber kein Problem, Gelder von russischen Oligarchen zu parken.

Es gibt nun einmal Konflikte, in denen ein Mensch, sogar ein Land, neutral sein kann, ja, wo „Neutralität“ gleichbedeutend mit der Billigung der Vernichtung eines Anderen einhergeht. Oder, anders, Neutralität nutzt immer dem Aggressor. Nun hat es die Schweiz recht gut: Eingebettet in Alpen und NATO lässt sich gut eine „neutrale Position“ vertreten, die Flüchtlingsströme kriegen die anderen ab und die Blutlachen von Butscha reichen nicht nach Bern und Zürich und Basel. So kann sich die Schweiz quasi gemütlich mit Popcorn und Cola vor die Weltlage setzen und „macht mal“ sagen, während um sie herum die Welt im Chaos versinkt.

Laut Zeitungsberichten werden derzeit etwa 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels über die Schweiz abgewickelt, besonders in Zug geschieht dies auch noch recht „steuerfreundlich“. Nach Schätzungen liegen derzeit elf Milliarden Euro von russischen Privatpersonen und Unternehmen auf Schweizer Konten herum, das entspricht in etwa 30 Prozent der russischen Guthaben weltweit. Und auf dieses Geld kann jederzeit, auch persönlich, zugegriffen werden. Aufenthaltsbewilligungen für russische Staatsbürger sind in der Schweiz recht unproblematisch, sie müssen sich nur auf eine Sonderklausel in den Schweizer Migrationsgesetzen berufen, nach der Personen von „wichtigem öffentlichen Interesse“ – sprich Geld – einen sogenannten „B-Ausweis“ erhalten. Unter diesen B-Berechtigten stellen Russen laut „blue news“ mit 85 Personen die größte Gruppe. Insgesamt 10.000 Schengen-Visa und 3.500 nationale Visa soll das „Staatssekretariat für Migration“ an russische Staatsbürger ausgestellt haben. Von den vielen Diktatoren- und Warlord-Kindern, die Schweizer Schulen besuchen, einmal ganz abgesehen.

Sieht so Neutralität aus?

Oder ist das eher eine „Scheißegal – Hauptsache Geld“ – Mentalität, die von ganz linken bis ganz rechten Diktaturen alles annimmt, so lange es schön glitzert? Hier wird die Neutralität zu einem Feigenblatt für die Annahme von Blutgeld, gesammelt von adretten Bankangestellten in hübschen Büros in klassizistischen Stadtvillen. Neutralität scheint hier nur zu gelten, wenn sie auch bezahlt wird. Nur – dann ist es eben keine Neutralität mehr. Sondern eine Finanzidylle. Erst auf massiven westlichen Druck rang sich die Schweiz dazu durch, wenigstens 7,5 Milliarden Franken russischer Bürger einzufrieren – was nicht gleichbedeutend mit „wegzunehmen“ ist.

Was also meinen die Schweizer, wenn sie sagen, sie seien neutral?

Bereits die Nichtlieferung von Munition an die Ukraine zeigt, dass die Schweiz gar nicht neutral sein kann – denn sie unterstützt dadurch die russischen Aggressoren in der Ukraine. Das Gerede von der Neutralität wird damit akademisch und zu einer rein philosophischen Frage mit ganz konkreten Auswirkungen auf die Menschen, die in der Ukraine leben. Somit gibt es also auch keine Schweizer Neutralität, sondern eine Parteinahme „über Bande“ zugunsten Putins. Ob das nun bewusst oder unbewusst geschieht, ist hierfür ohne Belang. Ein Krieg braucht zwar immer Waffen – aber vor auch jemanden, der sie finanziert.

Wie bereits in den 90ern bekannt wurde, nahm es die Schweiz mit der Neutralität noch nie so genau, wenn es um Geld und Gold geht: So kauften die Schweizer unter anderem gerne Schmuck und Zahngold von KZ-Häftlingen von Nazi-Deutschland gegen Devisen an, während sie jüdische Flüchtlinge an ihren Grenzen abwies. Wahrscheinlich hatten die zu wenig Geld?

Nein, Neutralität – und speziell die Schweizer Neutralität, die vor Zeiten die härtesten Söldner der Welt stellten – ist nicht mehr als ein Mythos, eine Tablette zur Beruhigung des eigenen Gewissens, während das Blutgeld fröhlich zwischen Bodensee und Matterhorn sprudelt.

(Weitere neutrale Artikel des Autors unter www.politticker.de)

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.


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Klaus Kelle, Chefredakteur