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Warum redet eigentlich niemand über Julian Assange?

ARCHIV – Julian Assange drohen in den USA bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Foto: Frank Augstein/AP/dpa

von CHRISTIAN KOTT

BERLIN – Ausnahmsweise war der auf Hysterie und clickbait ausgelegten Medienlandschaft Deutschlands der Fall Julian Assange nach monatelanger Sendepause mal wieder eine Meldung wert: Der britische Westminster Magistrate Court hat beschlossen, dass Julian Assange in die USA ausgeliefert werden darf. Eine mindestens eigenartige Entscheidung, die man aber juristisch erst bewerten kann, wenn sie im Volltext vorliegt.

Darum geht es hier jetzt nicht, sondern darum, warum sich die deutsche Journalistenlandschaft zwar für jeden noch so windigen Dissidenten zum Beispiel aus Russland brennend interessiert, aber für ihren eigenen Kollegen Assange nur dann, wenn es sich aufgrund zwingender Nachrichtenlage gar nicht mehr vermeiden lässt.

Dabei müssten doch gerade Journalisten gegen das, was mit Assange passiert, auch im eigenen Interesse Sturm laufen.

Kurz zur Erinnerung: Assange hatte mit seiner Enthüllungsplattform Wikileaks im Juli 2010, also vor fast 12 Jahren, den Zorn aller seitdem regierenden US-Administrationen auf sich gezogen, indem er Dokumente und Videomaterial über Kriegsverbrechen und Korruption in der US-Armee veröffentlichte. Niemand bestreitet ernsthaft, dass das Material und die Schlussfolgerungen daraus authentisch sind und ein erhebliches öffentliches Interesse an seiner Veröffentlichung vorliegt.

Seitdem statuiert die amerikanische Justiz an ihm ein beispielloses Exempel. Bereits 2012 floh er, nachdem man ihm eine angebliche Vergewaltigung in Schweden vorwarf, vor der aus den USA drohenden Todesstrafe in die ecuadorianische Botschaft in Großbritannien. Seit 2019, als ihm Ecuador die Unterstützung wieder entzog, ist er in britischer Auslieferungshaft nachdem er eine Haftstrafe von 50 Wochen für den Verstoß gegen Kautionsauflagen verbüsste. Seitdem wird gerichtlich um seine Auslieferung in die USA gerungen.

Kritik an der der US-Regierung oder der dortigen Justiz ist naiv. Wer glaubt, dass Assange von dort Fairness oder gar Anerkennung für die Aufdeckung der Skandale, für die man sich als anständiger US-Bürger zu schämen hat, zu erwarten hätte, der glaubt vermutlich auch an den Osterhasen. Dort hat man ihm erfolgreich ein Image als Nestbeschmutzer angehängt, obwohl er nicht einmal US-Bürger ist.

Zweifellos kann sich ein whistleblower zwar strafbar machen und muss sich gegebenenfalls den etwaigen Konsequenzen für sein Handeln stellen. Aber allein die Strafandrohung der Todesstrafe (gnädigerweise könnte es vielleicht auch nur eine Haftstrafe von 175 Jahren sein) hat mit Strafjustiz nicht mehr das Geringste zu tun sondern ist einfach nur ein Signal an die Pressefreiheit, sich schon einmal daran zu gewöhnen, dass die Zeiten von Bob Woodward oder Daniel Ellsberg doch bitteschön vergangen sind. Als diese die Watergate-Affäre und die Pentagon-Papiere aufdeckten waren sie zweifelsohne Helden des Journalismus, taten aber doch nichts anderes als Assange 2010. Anders sehen es sicher potentielle Kriminelle in US-Regierung und -Militär, die ihre Straftaten lieber unter dem Verschwiegenheitssiegel der „nationalen Sicherheit“ wissen wollen.

Auch wenn der deutschen Politikerszene allein wegen der Menge regelmäßig versprühten Moralins gut angestanden hätte, sich für Assange einzusetzen, hört man von dort kaum ein Wort.

Christian Lindner twittert zwar regelmäßig die Anzahl der Hafttage von Alexej Nawalny, aber Assange ist ihm bislang noch keinen Tweet Wert gewesen. Schade, aber nicht verwunderlich, denn auch in Deutschland wünscht sich doch kein Politiker ernsthaft einen echten investigativen Journalismus, der den Finger in die offenen Wunden legen könnte.

Selbst der Weltöffentlichkeit kann man die widerliche Lethargie, mit der sie auf schlimmste Willkür reagiert, nicht übelnehmen, denn das war schon immer so.

Aber die internationalen Medienschaffenden sollten vor Scham im Erdboden versinken. Das betretene Schweigen von Journalistenverbänden und von jedem einzelnen Berufsträger in der schreibenden und sendenden Zunft ist eine Schande für den ganzen Berufsstand. Zwar findet sich hierzulande immerhin keiner, der wie der amerikanische Fox-Journalist Bob Beckel forderte, man solle Assange doch einfach ohne Gerichtsverfahren abknallen (Das wörtliche Zitat lautet: „…there´s only one way to do it: illegaly shoot the son of a bitch!“), aber auch durch Schweigen macht man sich zum Kollaborateur an der Erosion der Pressefreiheit, die eindeutig die Intention der Behandlung Julian Assanges ist.

Nicht nur wöchentlich, nein täglich müsste sich in der eimerweise Moral über die ganze Welt ausgießenden deutschen Journaille jemand finden, der über Assange schreibt und damit den notwendigen öffentlichen Druck erzeugt, es jetzt endlich einmal gut sein zu lassen. Leider Fehlanzeige.

Selbst als Jurist kann ich – was immer man Assange vielleicht vorwerfen mag – in jeder Form der Strafverfolgung gegen ihn schon lange keinen Sinn mehr erkennen, denn auch alle Vorwürfe als zutreffend unterstellt, hat er unter Anrechnung von 10 Jahren Botschafts-, Straf- und Auslieferungshaft eine Strafe bekommen, die um ein Mehrfaches überhöht ist.

Immerhin bei „The Germanz“ darf und wird man es aber offen, laut und immer wieder aussprechen: Free Julian Assange!

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Klaus Kelle, Chefredakteur