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Tragen des Kreuzes auf dem Tempelberg

„Wer mich aber vor den Menschen verleugnet…“ Spaziergang auf dem Tempelberg

von FELIX HONEKAMP

Das Kreuz abnehmen mit Rücksicht auf die religiösen Gefühle anderer: Ist das eine Option oder keine? Auf diese Frage lässt sich der Disput zusammenfassen, der um den Tempelberg-Beesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx, gleichzeitig Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, entstanden ist, bei dem die beiden ihr Kreuz abgelegt hatten. Marx und Bedford-Strohm wird nun vorgeworfen, sie hätten sich mit dieser Geste den Muslimen unterworfen, während anderswo auf der Welt – in nahezu allen muslimisch geprägten Ländern – Christen für das Tragen des Kreuzes und ihren Glauben an Jesus Christus verfolgt würden.

Zwischenzeitlich hat sich auch Kardinal Marx zu diesem Thema geäußert. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk mahnte er, aus diesem Wirbel müssten „alle Seiten Lehren ziehen“. Eine solche Formulierung, die die Verantwortung für den „Wirbel“ bei anderen zu verorten sucht, ist aber natürlich ebenso wenig geeignet, die Wogen zu glätten, wie der Hinweis, es habe an Klagemauer und auf dem Tempelberg eine „angespannte Stimmung“ geherrscht und man habe nicht provozieren wollen. Ist das Tragen des Kreuzes, noch dazu durch einen kirchlichen Würdenträger denn tatsächlich eine solche Provokation, dass man es im vorauseilenden Gehorsam besser ablegt? Es ging schließlich nicht darum, auf dem Tempelberg ein Kreuz aufzustellen, es ging nicht darum, anderen durch das Zeigen des Kreuzes den eigenen Glauben aufzudrängen.

Andererseits: Vor einigen Jahren habe ich selbst Jerusalem besucht, und damals war nach meiner Erinnerung das Zeigen religiöser Symbole auf dem Tempelberg untersagt – jedenfalls für normale Touristen. Dabei ist gerade Jerusalem ein Schmelztiegel der drei großen monotheistischen Weltreligionen, bei dem man sich jeden Tag aufs Neue fragt, warum dort nicht viel mehr an Gewalt und Terror eskaliert, als es bislang passiert. Dass man in Jerusalem auf muslimischer oder gar jüdischer Seite das Kreuz nicht einschätzen könne, wie Marx meint, ist jedenfalls recht weit von der Realität entfernt.

In der Tat aber ist das Tragen des Kreuzes auf dem Tempelberg eine bewusste Entscheidung – ist es zumindest das Ablegen des Kreuzes. Offenbar findet sich niemand, der von Marx oder Bedford-Strohm verlangt hätte, das Kreuz abzulegen – was eine Entscheidung pro oder contra Tempelberge-Besuch heraufbeschworen hätte. Umso mehr ist es aber offenbar eine persönliche Entscheidung gewesen, das Kreuz lieber nicht zu zeigen, eben genau um nicht die religiösen Gefühle der Muslime zu verletzen. Da stellt sich einem Christen die Frage, wie ein solcher Vorgang wohl ausgesehen haben mag. Man kann sich als Christ vorstellen, dass man, wenn einen wirklich die Sorge um die Sicherheit der Menschen im Umfeld umtreibt, im Rahmen eines Gebetes das Kreuz unter der Kleidung verschwinden lässt. Man kann als Christ Gott um die Weisheit der rechten Entscheidung bitten, um Vergebung falls man falsch liegen sollte. Man kann über die Entscheidung, das Kreuz abzulegen beten und dabei Gott seiner persönlichen Treue versichern: „Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ – so sagt es Jesus in Matthäus 10,33. Das ist etwas, das kirchliche Würdenträger wissen sollten und in die Entscheidungsfindung zumindest mit einbeziehen sollten. Und über das sie als Hirten der Kirche durchaus auch sprechen können sollten.

Mir fehlt die Phantasie, dass gestandene Männer wie Kardinal Marx oder Heinrich Bedford-Strohm tatsächlich den Glauben an Christus verleugnen wollen würden – wobei ich zugebe, dass da auch ein gutes Stück Hoffnung mit hineinspielt. Die offenbare Gedankenlosigkeit, mit der man aber das Kreuz abgelegt hat, und nun wie Marx Kritiker dieses Vorgangs mit der Sorge, eher dem Verdacht konfrontiert, „dass Religion wieder instrumentalisiert [werde] als Mittel für Auseinandersetzungen“, damit denjenigen, die das Ablegen des Kreuzes kritisieren also schlechte Absichten unterstellt, ist aber ein fast genau so großer Skandal. Man fragt sich, ob Marx und Bedford-Strohm das nicht verstehen wollen oder nicht verstehen können – und was davon schlimmer ist?

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Klaus Kelle, Chefredakteur