Vier Monate nach dem Hamas-Terrorangriff: Der Körper funktioniert, die Seele nicht

Das Prozedere, um ins israelische Generalkonsulat in München eintreten zu können, erinnert an die Sicherheitskontrollen am Flughafen: Vor der Schleuse Boots aus, Gürtel und Schmuck ablegen, bis man nicht mehr verdächtig piept. PC und iPhone müssen ganz draußen bleiben – und inmitten des hoch gesicherten Umfeldes fühlt man sich plötzlich unsicher ohne die gewohnten Arbeitsgeräte. Doch der herzliche Empfang und das entspannte Gespräch mit Talya Lador-Fresher, Israels Generalkonsulin für Süddeutschland, lassen schnell vergessen, welche Hürden man nehmen muss, um ins Innere des Gebäudes zu gelangen.
Die erfahrene Diplomatin – zuletzt Botschafterin in Österreich – hatte im vergangenen September gerade die Leitung des Generalkonsulats übernommen, als kurz darauf der Terrorangriff der Hamas auf Israel die Welt erschütterte. Im Interview erzählt Talya Lador-Fresher, wie der 7. Oktober 2023 ihren Arbeitsalltag verändert hat, wofür Sie Bayern dankbar ist und was sie sich für Israels Zukunft wünscht.
Frau Generalkonsulin, sind Sie in den vergangenen vier Monaten nach Israel gereist?
Ja, ich war insgesamt drei Mal dort. Gleich Ende Oktober, als alles noch sehr, sehr schwierig und die Stimmung im Land am Boden war. Die Situation fühlte sich furchtbar an, die Menschen waren noch sehr traumatisiert.
Bei meinem zweiten Besuch habe ich Ministerpräsident Söder bei seinem Solidaritätsbesuch in Israel begleitet. Da war vieles schon besser: In Tel Aviv und Jerusalem konnte man Leben sehen, die Restaurants waren wieder geöffnet. Wir sind auch in den Süden gefahren, in den die meisten der 150.000 evakuierten Menschen noch immer nicht zurückgekehrt sind. Was ich erschreckend fand, war der Geruch, der in der Luft hing. Wir waren zwei Monate nach den Angriffen dort und der Rauch des Feuers war noch immer wahrnehmbar – es sind ja alle Häuser niedergebrannt worden.
Letzte Woche war ich zum dritten Mal in Israel: Von außen – zumindest in Jerusalem und Tel Aviv – sieht es aus, als sei alles wieder normal. Die Geschäfte sind geöffnet, die Wirtschaft läuft. Aber das ist nur das Außen, innen herrscht nach wie vor der 7. Oktober. Anders ausgedrückt: Der Körper funktioniert, die Seele nicht.
Ist es für Israel-Besucher noch gefährlich im Land?
Ich hatte keine Angst bei meinen Reisen. Natürlich ist es ratsam, sich auf die derzeitige Situation einzustellen, indem man beispielsweise die Nachrichten hört, bevor man in Israel irgendwohin fährt. Es ist es besser, genau zu checken, was sich gerade im Land tut und danach die Planungen auszurichten. Aber auch in Deutschland kann alles mögliche passieren, wir können nie ganz sicher sein.
Richtig, auf Europas Straßen und Plätzen, aber auch im Internet, spielte sich fast eine Art „Stellvertreterkrieg“ ab – es wurden und werden sowohl online als auch offline zahlreiche antisemitische und antiisraelische Desinformationen verbreitet, Juden werden tätlich angegriffen.
Dass es jeden Tag einen antisemitischen Vorfall in Bayern gibt, ist schrecklich. Und zwar für alle. Für die jüdische Gemeinde, für die Israelis, aber auch für die deutsche Gesellschaft.
Aber wenn man mir sagt: Das ist ähnlich wie in den 1930er-Jahren, dann ist meine Antwort: nein! Nein, auf keinen Fall. Denn ich weiß, dass es viele gute, motivierte Politiker, Journalisten und überhaupt engagierte Menschen gibt, die sehr stark gegen den Antisemitismus kämpfen. Und das ist wichtig.
So hat der Freistaat Bayern entschieden – leider haben dies nicht alle süddeutschen Bundesländer getan – dass der Slogan „From the river to the sea let Palestine free” strafbar ist. Darüber hinaus hat die bayerische Staatsregierung in ihrem neuen Koalitionsvertrag das Existenzrecht Israels zur bayerischen Staatsräson erhoben. Weiterhin ist im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern festgelegt, dass der Kampf gegen Antisemitismus und die Verteidigung jüdischen Lebens ein Herzensanliegen dieser Regierung ist. Das sind sehr starke Statements.
Wenden sich viele jüdische Mitbürgen mit Fragen und Sorgen an Sie?
Gleich nach den Terrorangriffen haben wir vor allem von israelischen Studenten einige E-Mails bekommen. Ich denke, eines der größten Probleme sind die Uni-Campusse.
Wir sind sehr dankbar, das möchte ich betonen, für die Unterstützung, die wir von der Münchner und der bayerischen Polizei bekommen. Nicht nur wir hier im Generalkonsulat, ich kann auch im Namen der jüdischen Gemeinde sprechen. Sicherlich ist es nicht angenehm, wenn man zur Synagoge oder zur Schule fährt, und überall stehen Polizeiautos. Aber es ist notwendig. Für diesen Schutz sind wir alle sehr dankbar.
Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag durch den 7. Oktober verändert?
Als Diplomatin ist mein Job, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland, vor allem Süddeutschland, und Israel vertiefen und verbessern. Nach dem 7. Oktober habe ich gesagt: Ich fokussiere mich hauptsächlich auf zwei Bereiche, das sind Politik und Medien, inklusive soziale Medien. Weiterhin fördern wir den Jugend- und Studentenaustausch. Leider ist es jetzt ein wenig schwierig, aber hoffentlich können wir diesbezüglich im Sommer weitermachen.
Sie selbst sind deutscher Herkunft und haben Ihre Kindheit in Bonn verbracht. Seit damals hat sich Deutschland ziemlich verändert …
Sehr!
Was sind Ihre persönlichen Eindrücke, was ist anders geworden?
Als ich 1975 nach Deutschland kam, war der Abstand zwischen beiden Ländern groß. Die wirtschaftliche Situation in Israel war nicht besonders gut. Ich erinnere mich noch, wie ich damals bei EDEKA in Bad Godesberg stand und über den riesigen Kühlschrank mit fünfzig verschiedenen Joghurt-Sorten gestaunt habe. Ananas, Apfel, Banane … Ich war überrascht, so etwas zu sehen, aber im positiven Sinne. Bei uns in Israel gab es nur drei Sorten. Dasselbe beim Käse … Vielleicht hatten wir sieben oder zehn Sorten im Angebot, das war’s. Und hier war der Supermarkt voll. Dann die Autos in Deutschland – sie waren groß, schön und modern. Bei uns war es nicht so. Was das betraf, war Deutschland ein Vorbild für mich.
Und heute?
Heute, Gott sei Dank, ist die Situation in Israel viel besser: Das Angebot an Waren hat sich vervielfacht. Der einstmals große Abstand zwischen beiden Ländern existiert nicht mehr.
Israel ist ein modernes Land, es gibt unglaublich schöne Neubauten, nehmen Sie etwa das Stadtbild von Tel Aviv mit all den Hochhäusern … Es erinnert ein bisschen an Manhattan.
Als ich kürzlich nach 40 Jahren nach Bonn zurückgekehrt bin, war ich erstaunt: Bonn sah noch genauso aus wie damals, selbst der Friseursalon ist noch an derselben Ecke wie damals.
Welchen Wunsch haben Sie für Ihr Land?
Vor allem als israelische Staatsbürgerin wünsche ich mir, dass sich die Situation beruhigt. Dass der Krieg beendet wird und die Hamas zerstört werden kann. Dass alle Geiseln frei sind und nach Hause kommen können. Und dass sich im Norden Israels die Hisbollah wieder hinter den 40 km von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht. Die Frage ist: Wer wird den Gaza-Streifen kontrollieren? Militärisch sicher Israel, aber wir möchten sicherlich nicht die palästinensische Zivilbevölkerung regieren. Da muss es eine andere Lösung geben.
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