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Airbus als großes Vorbild

Elektrisches Fliegen für alle: Verschläft Deutschland erneut eine zukunftsträchtige Inovation?

KLAUS KELLE
Die saudi-arabische Fluglinie Saudia hat vor Wochen die ersten 50 Flieger mit einer Option für weitere 50 bestellt.

Moderne Technologie hat es schwer in Deutschland. Wer jüngste Berichterstattung im Handelsblatt, in der WELT oder dem Münchner Merkur verfolgt, sieht diese These bestätigt. Aber der Reihe nach.

Beim elektrischen Flugzeugpionier Lilium in Gauting bei München läuten nach übereinstimmenden Medienberichten die Alarmglocken. Das Geld reicht nicht, um das Programm zur Serienreife zu bringen. Internationale Investoren haben schon 1,5 Milliarden Dollar investiert und fordern jetzt ein Signal, ob Deutschland an elektrischer Luftfahrt überhaupt interessiert ist. Erst dann wollen sie weiter investieren. Das gewünschte „Signal“ wäre ein Darlehen über 100 Millionen Euro der bundeseignen KfW-Bank.  Aber die Politik tut sich schwer. Seit über einem Jahr wartet Lilium auf eine Entscheidung. Im Ausland werden Projekte der elektrischen Luftfahrt schon längst mit großen Beträgen gefördert. Das veranlasst Investoren und Management, über Alternativen zum Standort Deutschland nachzudenken. Gespräche laufen nach Presseberichten in China, Amerika und Saudi-Arabien, aber auch in Frankreich.

Wiederholt sich Geschichte?

Airbus kennt heute jeder. Das Unternehmen ist schon seit einigen Jahren die Nr. 1 der Flugzeughersteller. Es gilt weltweit als französisches Unternehmen oder zumindest französische Erfindung. Dabei stammen die Idee und der erste wesentliche Antrieb zu Airbus von deutschen Luftfahrt-Ingenieuren. Sie wollten Mitte der 60er Jahre Fliegen für alle ermöglichen mit innovativen Technologien aus Europa. In Frankreich gab es für die Demokratisierung der Fliegerei zunächst wenig Begeisterung. Französische Ingenieure waren damals der Faszination des Überschallflugs erlegen, ihr Fokus lag auf der französisch-britischen Kooperation Concorde. Kein Wunder, dass Airbus als Firma zuerst in Deutschland registriert und die Markenrechte in Deutschland gesichert wurden.

Ende der 60er Jahre öffneten sich die französischen Ingenieure der deutschen Idee von Airbus. Denn immer deutlicher war geworden, dass mit Überschall alleine die Nachfrage nach Flugzeugen nicht gedeckt werden könnte. Die französische Luftfahrtindustrie hatte mit einigen nationalen Flugzeugprogrammen auch schmerzlich erfahren, dass sie allein im Wettbewerb mit den Marktführern aus Amerika keine Chance hatten.

Airbus hat fast 30 Jahre gebraucht, um sich im Markt als echte Alternative zu Boeing, Lockheed und McDonnell Douglas zu etablieren. Es hat sich mit Innovationen (zB Fly-by-wire) durchgesetzt, die die amerikanischen Wettbewerber erst deutlich nach Airbus eingeführt hatten. Die US-Luftfahrt war dabei immer im Vorteil. Denn sie profitierte nicht nur von hochprofitablen Rüstungsgeschäften, sondern auch von massiver staatlicher Technologieförderung. Frankreich war aber inzwischen wild entschlossen, Airbus zum Erfolg zu führen, vor allem wegen der strategischen Bedeutung einer eigenen Luftfahrtindustrie.

In Deutschland herrschte jedoch große Skepsis

Man zweifelte an den neuen Technologien, scheute das Risiko eines angeblichen Milliardengrabs und auch den transatlantischen Konflikt. Nur der bayerische CSU-Chef Franz-Josef Strauß plädierte von Anfang an für eine staatliche Förderung von Airbus. Mit seinen industriepolitischen, geo- und technologiepolitischen Gründen wurde er allenfalls bei den Kanzlern Kiesinger und Schmidt gehört. Brandt und Kohl konnte er immer nur unter Hinweis auf die Notwendigkeit deutsch-französischer Kooperation davon überzeugen, weiteren Subventionen zuzustimmen.

Wie geht’s weiter bei Lilium?

Das Münchner Unternehmen Lilium ist heute der deutsche Pionier in der elektrischen Luftfahrt und weltweit Branchenführer mit seinem Lilium Jet. Die Anfänge klingen wie eine Wiederholung der Airbus-Gründung: Vier deutsche Luftfahrtingenieure wollen elektrisches Fliegen für alle ermöglichen und mit regionalem Lufttransport einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Luftfahrt leisten. Sie gründen ein Start-up, sammeln 1,5 Mrd Euro ein und bewiesen mit zwei Demonstratorfliegern, dass elektrisches Fliegen auch als Senkrechtstarter möglich ist. Lilium sichert sich Patente für seine bahnbrechenden Technologien beim elektrischen Jet-Antrieb, bei Batterietechnik und Flugsteuerung. Über 100 Festbestellungen und mehr als 600 Vorbestellungen hat das Unternehmen verbucht. Jetzt steht Lilium nur wenige Monate vor dem Erstflug seines Jets. Für 2026 wurde den Kunden die erste Auslieferung versprochen.

Aber die deutschen Ingenieure treffen auf Widerstand – und nirgends so stark wie in Deutschland. Grüne und in Bayern Aiwangers Freie Wähler wittern Luftfahrt nur für Reiche und kaschieren damit doch nur ihre Technologieskepsis. Sie ignorieren, dass Lilium in einem Senkrechtstarter für sechs Personen nur das erste Projekt sieht. Die Vision des Unternehmens sind Regionalflugzeuge für den Transport von 40 bis 50 Personen in rund 10 Jahren mit einer Reichweite von 1.000 km und 80- bis 100 Personen in rund 20 Jahren mit einer Reichweite von 2.000 km. 80 Prozent aller Flüge weltweit sind unter 2.000 km. Lilium baut auf eine rasante Entwicklung der Batterietechnik.

In Amerika, China, Großbritannien und Frankreich wird die elektrische Luftfahrt bereits massiv aus Staatsmitteln gefördert

China hat elektrische Luftfahrt zu einem Ziel seines Fünf-Jahres-Plans gemacht. Deshalb hat die weltgrößte Batteriefirma CATL kürzlich ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem chinesischen Flugzeughersteller COMAC gegründet. Man will einen 19-Sitzer Elektroflieger bauen. CATL ist im Juli auch Großaktionär bei Autoflight geworden, einem Unternehmen für Drohnen und Elektroflugzeuge mit Standorten in Shanghai und Augsburg. Die chinesische Strategie bestätigt die Vision der Lilium-Ingenieure. Amerikanische Unternehmen aus der Lufttaxi-Branche wie Joby und Archer haben bereits viele Hundert Millionen Dollar an staatlichen Subventionen bekommen. Auch Vertical in England und französische Startups sind mit dreistelligen Millionenbeträgen gefördert worden.

Vor diesem Hintergrund hatte Lilium in München und Berlin um ein Darlehen ersucht. Da sich die deutsche Politik nicht bewegt, schwärmen die Manager von Lilium jetzt aus ins Ausland, um neue Investoren zu suchen. „Es geht um das Überleben des Unternehmens,“ sagt ein Branchenkenner im Hintergrundgespräch mit KELLE. „Ohne Staatsgeld ist noch kein Luftfahrtprogramm erfolgreich geworden. Keins.“ Der Insider weiter: „Wenn Deutschland nicht bereit ist, dann muss die Zukunft im Ausland gesucht werden. Nur so ist Wettbewerbsfähigkeit zu halten, obwohl das Unternehmen weltweit über die vielversprechendste Technologie verfügt.“

Die Zukunft von Lilium in Deutschland liegt jetzt in den Händen der Bayerischen Staatsregierung. Sie muss eine Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro für das Darlehen der KfW abgegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) haben für den Bund längst grünes Licht gegeben. Der Ball liegt aber bei Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Aiwanger scheut den Widerstand aus seiner Fraktion, wo man eher die Interessen der Landwirtschaftim Auge zu haben scheint statt Technologien der Zukunft. Dann käme es auf Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an. Wird er sich als Erbe von Franz-Josef Strauß bewähren?

Oder wird Lilium demnächst auch nur ein in Deutschland gegründetes Unternehmen sein, das seine Zukunft in Frankreich, China oder Amerika erlebt?

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Klaus Kelle, Chefredakteur