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2050 könnte es mehr Plastikmüll als Fische in den Meeren geben

Fischen impossible

Plastikmüll im Meer vor Indonesien

Waren das noch Zeiten, als Haie und andere Raubfische die größten Feinde von Meeresschildkröten, Delfinen und Seevögeln waren. Heute geht die größte Gefahr für die Meerestierarten von Polypropylen, Polyethylen und Polyurethan aus…

 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Aber in jedem Quadratkilometer schwimmen hunderttausende Teile Plastikmüll. Statistisch gesehen kommen auf jeden Erdenbürger etwa 700 Plastikteilchen, die im Meer schwimmen. Es ist ein weltweites Problem: Seevögel verenden qualvoll an verschluckten Feuerzeugen, Flaschendeckeln und Strohhalmen, die sie für bunte Fische hielten; Schildkröten ersticken an Plastiktüten, die wie Quallen aussahen; Delfine sterben, weil sie sich in alten Fischernetzen verfangen.

Das Problem wird immer mehr Menschen bewusst, da sie permanent damit konfrontiert werden. Es gibt wohl keinen Strand weltweit, an dem kein Plastik angespült wird. Schon heute sollen mindestens 150 Millionen Tonnen Plastikmüll die Weltmeere belasten. Und es werden jedes Jahr ein paar Millionen Tonnen mehr, die sich zu gigantischen Müllstrudeln auf den Ozeanen ansammeln. Deshalb haben die Vereinten Nationen 2018 den Plastikmüll in den Meeren zu einem der sechs dringendsten Umweltprobleme (neben Klimawandel, Versauerung der Meere und Artensterben) erklärt.

Die Folgen der Plastikabfälle sind dramatisch, denn sie sind nicht nur eine Gefahr für Fische, Vögel und Meeressäuger. Der in den Wellen treibende Müll verrottet niemals, er wird lediglich durch Wellenbewegungen und UV-Strahlen zu immer kleineren Teilchen pulverisiert. Über den Verzehr von Fischen landen kleine Plastikpartikel, das sogenannte Mikroplastik, auch in der menschlichen Nahrungskette und damit im menschlichen Organismus. Welche konkreten gesundheitlichen Folgen das hat, ist noch nicht erforscht. Fakt ist aber, dass enthaltene Stoffe wie Weichmacher und Flammschutzmittel chemisches Gift sind.

Verläuft die Entwicklung so weiter, werden im Jahr 2050 nach Gewicht mehr Plastikabfälle in den Meeren schwimmen als Fische.

Zur selben Zeit, so vermuten Wissenschaftler, werden sich in den Mägen nahezu aller Meeresvögel Plastikteile finden. Offiziellen Schätzungen zufolge werden weltweit mehr als 1300 Tierarten im oder am Meer durch Plastikabfälle belastet oder bedroht. Darunter sind auch Arten, die vom Aussterben bedroht sind, wie die Hawaii-Mönchsrobbe, die Karettschildkröte oder der Duale Sturmtaucher.

Der Müll in unseren Ozeanen besteht aus Plastiktüten, PET-Flaschen, Feuerzeugen, Zahnbürsten, Zigarettenkippen, Einwegverpackungen und ähnlichem mehr. Tiere verwechseln die bunten Plastikteilchen auch aufgrund ihres Geruchs häufiger mit Nahrung. Sie ersticken, sterben an Verstopfung oder verhungern, weil sie durch den vollen Bauch ein trügerisches Sättigungsgefühl haben. Insbesondere Seevögel fallen diesem tödlichen Irrtum reihenweise zum Opfer. Denn auf dem Meer treibende Plastikteilchen riechen nach Schwefel, wenn sich Algen und Bakterien darauf ansiedeln.

Bei einer Untersuchung von Eissturmvögeln, die sich ausschließlich aus dem Meer ernähren, hatten beispielsweise 93 Prozent der Tiere Plastikteile im Magen. Und nicht nur zwei oder drei Teile, der Durchschnittswert lag bei 27 Plastikpartikeln pro Vogel! Es wird geschätzt, dass – wenn die Entwicklung so weitergeht ­ bis 2050 fast jeder Meeresvogel Plastikteile im Magen haben wird.

Betroffen sind auch immer häufiger Meeressäuger und Fische

Meeresschildkröten, die sich am liebsten von Quallen ernähren, verschlucken immer wieder Plastiktüten. Schon jede zweite Meeresschildkröte hat heute Plastik im Magen. Und Wale, die Plankton aus dem Meer filtern, füllen ihre Bäuche ungewollt mit massenhaft Plastikteilchen, die sie auf natürlichem Wege kaum wieder ausscheiden können. Darüber hinaus gibt es immer wieder solche Fälle, in denen die Tiere nicht durch Verwechslung mit Nahrung zu Tode kommen, sondern durch das Verfangen im Müll. Ob ein herrenloses Fischernetz, ein alter Ölkanister oder ein Joghurtbecher – das alles kann zur tödlichen Falle werden, wenn sich die Tiere darin verfangen oder in Panik verstümmeln. Im Mittelmeer haben heute 134 Tierarten Plastik im Körper, mehr als 344 Tierarten weltweit wurden schon in Plastikfallen gefunden.

Die schlimmsten Verursacher des Problems sind fünf asiatische Länder

Plastikverschmutzung ist ein weltweites Problem. Zu den Hauptursachen zählen der übermäßige Plastikverbrauch und fehlende oder mangelnde Abfallkonzepte. Am meisten Plastikmüll wird über die großen Flüsse in Südostasien in Pazifik und Indischen Ozean geschwemmt. Dabei sind die fünf asiatischen Länder China, Indonesien, die Philippinen, Thailand und Vietnam zusammen für die Hälfte der weltweiten Plastikverschmutzung von Ozeanen verantwortlich. Das Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat ausgerechnet, welche Flüsse am meisten Plastik in die Meere tragen. Allein der 6380 Kilometer lange Jangtsekiang in China – nach Amazonas und Nil drittgrößter Fluss der Welt – transportiert jedes Jahr etwa 16,88 Millionen Tonnen Kunststoff ins Meer. Gefolgt von Indus (Pakistan, 4,81 Millionen Tonnen), Huangho (China, 4,1) und Hai He (China, 3,45).

Aber auch in Europa, dem weltweit zweitgrößten Plastikproduzenten, gibt es ähnliche Probleme. Mittelmeeranrainer-Staaten wie Italien, Spanien, Griechenland und die Türkei haben Recyclingquoten von 30 Prozent und weniger. In der Region hinterlassen 150 Millionen bis zu 760 Kilogramm Müll pro Kopf und Jahr. Verschlimmert wird das Ganze durch die etwa 320 Millionen Touristen, die jedes Jahr an die Mittelmeerstrände strömen.

Hauptproblem dieser Länder ist das fehlende Abfallmanagement. Sie verfügen über keine oder nur lückenhafte Strukturen für Sammlung, Recycling und Vernichtung von Abfällen. Höchstens 50 Prozent des Müllaufkommens in den ärmeren Ländern wird eingesammelt. Aber auch dort meist nur in den Städten. In ländlichen Regionen wird er aus Kostengründen überhaupt nicht abgeholt und bleibt liegen. Für mindestens die Hälfte der Erdbevölkerung gibt es keine geregelte Abfallentsorgung. Ein Kreislaufsystem wie der Grüne Punkt in Deutschland, in dem alle Unternehmen, die verpackte Ware verkaufen, eine Lizenzabgabe auf Verpackungen zahlen müssen, fehlt hier völlig.

Nach einer Studie von Ocean Conservancy stammen übrigens 75 Prozent des in die Meere gespülten Plastikmülls von Abfällen, die nicht eingesammelt wurden. Beängstigend ist aber, dass die verbleibenden 25 Prozent offenbar schon einmal unter Kontrolle waren und trotzdem in die Meere gelangen. Hierfür werden insbesondere ungesicherte Deponien in der Nähe von Fließgewässern und illegale Entsorgung verantwortlich gemacht.

Ein noch viel größeres Problem als die mit dem bloßen Auge erkennbaren Plastikmassen ist das so genannte Mikroplastik. Es sind winzig kleine Plastikpartikel mit weniger als 5 Millimeter Durchmesser, die aus unterschiedlichen Quellen in die Gewässer gelangen: durch Abrieb von Autoreifen, das Waschen von Kunststofftextilien oder als Bestandteil in Kosmetikprodukten. Mikroplastikpartikel enthalten wie jeder andere Plastik auch Stoffe, die zu 78 Prozent giftig sind und somit Organismen Schäden zufügen. Gelangen sie ins Körpergewebe, können sie Leberschäden verursachen oder den Hormonhaushalt verändern. Daraus resultieren häufig Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit, der Reproduktionsfähigkeit und des Wachstums sowie Krebserkrankungen. In Plastik enthaltene Schadstoffe können auch zu genetischen Veränderungen führen.

 Was jetzt dringend getan werden muss

Umweltschutzorganisationen fordern seit Jahren eine Vereinbarung für internationale Handelsbestimmungen für Plastikmüll, in denen weltweite Recyclingvorgaben festgelegt werden. Außerdem Finanzmechanismen, mit denen die Umsetzung der geforderten Vereinbarungen gefördert wird. Eine Möglichkeit sind die so genannten „Fishing for litter“-Initiativen, bei denen die Fischindustrie in das Säubern der Meere einbezogen wird. Die Trawler und Kutter erhalten die Ausrüstung und die Fischereibetriebe eine Belohnung dafür, wenn sie Meeresmüll an Land bringen, anstatt dass sie aus Versehen „gefischten“ Müll wieder ins Meer werfen.

 

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur