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Unser etwas anderer Jahresrückblick: Verschwundene SMS – Krieg in Europa – Fußball als Haltungssport

von JULIAN MARIUS PLUTZ

BERLIN – Im Englischen gibt es den Ausdruck “Let’s call it a day”, was so viel bedeutet wie „Lasst uns Feierabend machen”. Nach getaner Arbeit tut es wohl, den Herrgott einen guten Mann sein zu lassen und in den gemütlichen Teil des Abends überzugehen. Ebenso verhält es sich nach 365 Tagen, also zum Jahresabschluss. Man blickt zurück und denkt sich seinen Teil: Haben sich die vergangenen zwölf Monate gelohnt? Was können wir 2022 mitnehmen? War es ein “gebrauchtes” Jahr? Let’s call it a year!

Der Januar 2022 war ganz im Zeichen der vermeintlichen Bekämpfung von Covid. Vor allem auf die Ungeimpften wurde Druck ausgeübt. Sie seien unsolidarisch und unsozial, wenn sie sich nicht mit den Mitteln von Pfizer und Konsorten impfen lassen. Dabei ist Zulassung und Bestellung der Stoffe alles andere als transparent abgelaufen. Die frühere deutsche Ministerin und jetzige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stand im Januar in der Kritik. So rügte die europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Rielly die Niedersächsin für ihren intransparenten Umgang mit Kurznachrichten in Verbindung mit den milliardenschweren Impfstoff-Käufen gegen Covid-19. Vereinfacht gesagt: Sie löschte die gesamte Korrespondenz mit dem Pfizer-Chef Bourla, den sie freundschaftlich “lieber Albert” nennt.

2021 lagen 16.665.365 Menschen auf den Intensivstationen.276.332 Personen waren wiederum positiv getestet, was unter anderem an der erhöhten Testfrequenz im Vergleich zu 2020 lag. Bezogen auf 2019 bedeutet das: 2.576.465 Menschen besetzten ein Intensivbett.

Der Sachverständige kommt zum Schluss, dass sich offenkundig eine signifikante Menge ungenutzter Kapazitäten in deutschen Krankenhäusern ergibt. „Durch die stark verringerte Fallzahl waren Personalengpässe ebenfalls nicht anzunehmen.“ Eine Überlastung der Krankenhäuser, insbesondere durch COVID-19, hätte niemals stattgefunden.
Dass dennoch die Maßnahmen, teilweise bis heute, in Kraft sind, spricht für die maximale Unfähigkeit der Politiker, Fehlverhalten einzugestehen.

Im Februar passierte das, was nie hätte passieren dürfen. Am 24 des Monats überfiel Russlands Putin, wie es immer so unschön heißt, die Ukraine. Der Konflikt ist älter, als die Amtszeiten beider Präsidenten. In Deutschland gab es eine Welle der Solidarität. Ob Twitter oder Kirche, Freundeskreis oder Unternehmen, Schule oder Universität. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen stand und steht auf Seiten der Ukraine.

In der Tat gibt es gute Gründe, für das osteuropäische Land einzustehen. Jedoch erscheint der Zeitpunkt vom Zeitgeist getrieben. Wo war die Solidarität 2014, als Putin die Krim einnahm? Wo war die Empörung, als Russland in einer nie dagewesenen kriminellen Energie bei der Winterolympiade in Sotschi betrog? Wo blieb der deutsche Moralzeigefinger, als im Tschetschenien-Krieg rund 15.000 Menschen zu Tode kamen? Im Rhythmus der Massenmeinung scheint es sich am bequemsten zu klatschen.

AfD erhält als einzige Partei im Bundestag kein Stiftungsgeld

Wo wir bei Anne Spiegel wären. Am 11. April trat sie als Bundesfamilienministerin zurück. Während der schlimmsten Flutkatastrophe seit Jahrzehnten gönnt sich die damalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz einen vierwöchigen Urlaub. Doch damit nicht genug: Medien wie der Tagesschau sagte sie, dass sie währenddessen an Kabinettssitzungen teilgenommen hat. Das war gelogen. Lediglich für einen Tag und hübsche Pressefotos besuchte sie das Ahrtal.

Frau Spiegel bewies, dass sie für Spitzenämter kein Format hat. Manche tief hängenden Früchte müssen einfach geerntet werden, ehe sie noch überreifer werden. Man kann nur hoffen, dass von nun an bei Fehlverhalten wieder zurückgetreten wird. Die nächsten Minister stehen bereits fest.

Im Mai ist das passiert, was viele erwartet hatten. Ein Antrag der Bundestagsfraktion der AfD, ihre parteinahe Stiftung staatlich zu fördern, wurde im Bundestag zum wiederholten Male abgelehnt. Damit bekommt die Desiderius-Erasmus-Stiftung erneut kein Steuergeld für ihre Bildungsarbeit. Vorgesehen wäre ein Teil der insgesamt knapp 132 Millionen Euro, die der Haushaltsausschuss des Bundestags nun an die übrigen im Parlament vertretenen Parteien verteilt.

Begründet wurde dieses Vorgehen nicht. Einzig ein Sprecher des Innenministeriums meldete sich zu Wort: „Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages entscheidet, welche Zuwendungsempfänger in welcher Höhe bei der Verteilung der Globalzuschüsse berücksichtigt werden. Das Bundesinnenministerium setzt diese Entscheidung dann um.“ Gleichzeitig erhöhte sich die Zuwendung für die anerkannten Stiftungen um knapp 30 Millionen Euro.

Diese Entscheidung kann man guten Gewissens als Skandal bezeichnen. Während die Parteien, die schon länger gewählt werden, ihre Stiftungen mit properen Steuermitteln ausstatten dürfen, geht die AfD als längst etablierte politische Kraft leer aus. Damit hindert man eine demokratisch gewählte Partei, im Vergleich zu anderen, an ihrer Aufgabe der Willensbildung. Das ist für eine Republik schlicht unwürdig.

Volkswagen schadet Achse des Guten

Mehr als unwürdig erwies sich auch das Verhalten von Volkswagen. Ein anonymer Nutzer auf Twitter schafft es mit einem einzigen Tweet, dem Autorenblog achgut.com soweit zu schaden, sodass man von einer Erosion der Pressefreiheit sprechen kann. Aufgrund kritischer Beiträge zum Thema Corona veranlasst Audi, bekanntermaßen eine Tochter von VW, mutmaßlich, dass ein Anzeigenpartner seine Zusammenarbeit kündigt, was den Verbleib der Achse und nicht zuletzt die wirtschaftliche Existenz der Mitarbeiter bedroht.

Das Unternehmen vergeht sich wieder einmal. Gelernt hat es aus der Geschichte scheinbar nichts. Denn sonst wüssten die Lenker in Wolfsburg, deren Konzern unter Hitlers persönlicher Aufsicht gegründet wurde, dass sie gerade einen Beitrag zu einer gleichgeschalteten Presse leisten, von der sie bereits zu Beginn ihrer Unternehmensgeschichte profitieren. Doch das scheint weder in Niedersachsen, noch in der Heimat der Tochter Audi, noch in Ingolstadt irgendwen zu stören. Offenbar ist man, mehr als 80 Jahre später, wieder auf den Spuren der Wurzeln des Gründergeistes.

Anbiedern an China

Im August besuchte ich die Klimakleber. Als Aktivist verkleidet lauschte ich einem Vortrag von Maja Winkelmann. Ziel der Extremistin: Für den Oktober Aktivisten zu rekrutieren, die in Berlin die Straßen blockierten. Zwar bin ich nach einigen Tagen aufgeflogen, dennoch war die Aktion für die “Letzte Generation” erfolgreich. Bis in den Dezember klebten sich Jugendliche auf die Straße und störten damit den Verkehr. Mit Methoden, die an die der Mafia erinnern, Erpressung und Nötigung, versuchen die Extremisten die Politik zum Umdenken zu bewegen. Dabei kommen Feuerwehr und Krankenwagen oftmals nicht rechtzeitig an die Unfallorte, was die “Letzte Generation” auch in Kauf nimmt. Die Klebekinder haben damit das Potential, die Gesellschaft nachhaltig zu spalten.

Für Nachhaltigkeit in Sachen Abhängigkeit von Diktaturen sorgte die Regierung im Oktober. Das Bundeskabinett hat den Einstieg Chinas in den Hamburger Hafen beschlossen. Noch während sich die Regierung uneins war, hatte sich Kanzler Scholz längst entschieden, in Kürze nach China zu reisen. Spannend, denn gerade versucht Deutschland mit einem milliardenschweren Aufwand, sich von Russlands Gas zu lösen, während man in Sachen kritischer Infrastruktur weniger zimperlich ist und China mit ins Boot holt. Die Auswirkungen dieser Investition werden wir in Jahrzehnten beobachten können.

Moralweltmeister in der Vorrunde gescheitert

Das Highlight, oder besser das Lowlight moralischen Zerfalls, erlebten wir im Dezember. Da fand die Weltmeisterschaft im fußballverrückten Katar statt. Im Zuge des Haltungswettbewerbs, den Deutschland bereits vor dem Eröffnungsspiel für sich entscheiden konnte, entschied sich Deutschland, mit einer “One Love” Binde anzutreten. Die Kapitänsbinde sollte Vielfalt und Offenheit und Toleranz ausdrücken. Werte, die Deutschland so treffend verkörpert wie Bela Lugosi den Dracula, vorausgesetzt wir sprechen von der Zeit nach 1945. Die FIFA untersagte das Tragen dieser Binde, die Spieler mussten dafür die peinliche “Mund-zuhalten” Geste aufführen. Anschließend schied Deutschland in der Vorrunde aus. Traumschön.

Was später herauskam: Viele Spieler monierten die Politisierung der WM. Half aber nichts. Leon Goretzka und Manuel Neuer setzten sich durch. Der Rest ist Geschichte: Über die „Mund-zuhalten“-Geste lachte die Welt. Vielleicht kriegt es dieses Land in Zukunft hin, sich beim Sport auf den Sport zu konzentrieren. Um ein Zitat von Churchill etwas abzuwandeln: “Manchmal ist ein Fußball einfach nur ein Fußball”.

So gesehen wünsche ich Ihnen ein fulminentes neues Jahr. Bleiben Sie wacker, bleiben Sie heiter, vor allem aber: Bleiben Sie uns gewogen.

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Klaus Kelle, Chefredakteur