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Demokrate ist, wenn man wählen darf, was man will

Wenn Sachsen und Thüringer mit Mehrheit AfD und BSW wählen, dann lasst sie doch machen

KLAUS KELLE
Herrnskretschen an der deutsch-tschechischen Grenze.

Die Zeitungen sind am Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen voll von Analysen politischer Beobachter und bunten Schaubildchen, die Wählerwanderungen zeigen. Warum wählen die Menschen in solchen großartigen Bundesländern so, wie sie wählen? Verstehen „Wessis“ das überhaupt, diese latente Aufmüpfigkeit gegen „die da oben“, diese Ablehnung unseres Nanny-Staates, der besser zu glauben meint, was gut für seine Bürger ist, als sie es selbst wissen?

Ich lebe jetzt auch in einem ostdeutschen Bundesland und bin dazu aufgerufen, in knapp drei Wochen zur Wahl zu kommen und meine Stimme für irgendwelche Politiker abzugeben, die ich nicht kenne, und für eine Partei, die mich nicht überzeugt. Das kann ich so als Ausganslage formulieren.

Es ist schön hier, richtig schön, alles funktioniert irgendwie, es gibt keine schwarz gekleideten Idioten, die mit „Allahu Akbar“-Rufen durch die Straßen ziehen, es gibt zwei Barber-Shops mit sympathischen Jungs aus Syrien, die kaum Deutsch sprechen, aber mir hin und wieder für 12 Euro den Bart stutzen. Mit selbst angerührtem Schaum und einer scharfen Klinge.

Umfragen bestätigen, dass die große Mehrheit der verbliebenen 13 Millionen Deutschen in den Ost-Bundesländern mit ihrer persönlichen Lebenssituation heute zufrieden, ja sehr zufrieden sind. Nach der Wende und Wiederherstellung der staatlichen Einheit vor 30 Jahren, waren nur 20 Prozent der Ostdeutschen zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrem persönlichen Einkommen. Inzwischen schwanken die Werte bei repräsentativen Befragungen zwischen 55 und 60 Prozent, die sagen, ihnen gehe es gut. Im Westen Deutschlands zeigt die Kurve bei dieser Frage in Umfragen übrigens dagegen (leicht) nach unten.

Fragt man dann aber Ostdeutsche, denen es nach eigenem Bekunden materiell gut und sehr gut geht, wie die Gesamtsituation Deutschland ist, dann stehen wir alle am Abgrund.

So entstehen dann Wahlergebnisse, wie am vergangenen Sonntag

Der Ostdeutsche fremdelt mit der etablierten Politik, die in Berlin in den vergangenen Jahren beschlossen und umgesetzt wurde.

Und ich tue das auch. Als „Wessi“. Aber diese Politik ist nicht als Fallobst vom Baum gefallen, dieses politische Personal kam nicht aus dem Nichts, wurde nicht vom extraterrestrischen Raumschiff hier abgesetzt. All diese Kühnerts, Faesers, Langs, Habecks wurden von Millionen Menschen in die politische Verantwortung gewählt. Das muss man sich bisweilen wieder in Erinnerung rufen. Das ist unsere BUNDESREGIERUNG. Diese Leute entscheiden über Krieg und Frieden, Wohlstand und Armut, Staat oder Freiheit. Na, herzlichen Glückwunsch, Deutschland!

Ich wähle seit den Merkel-Jahren nahezu bei jeder Wahl etwas anderes. Ich gucke mir die Themen und die präsentierten Köpfe an, schwanke hin und her, und wähle dann das kleinere Übel.

Weil, wenn der Wähler sonntags seiner Unzufriedenheit in der Wahlkabine Luft macht, dann stellt er am Tag danach fest, dass sich mit seiner Wut-Stimme nichts ändert. Nichts. Und das sage ich als „Wessi“ nicht erst seit heute. Die Leute wählten erst AfD aus Protest gegen den ganzen anderen Kram, meinetwegen auch die „Westparteien“. Jetzt wählen sie die AfD überwiegend aus Überzeugung. Und die anderen Parteien? Die weigern sich, das Votum der Wähler umzusetzen. Ich will gar nicht mit der Korrektur des sächsischen Ergebnisses gestern hier anfangen, das die blaue Sperrminorität aushebelt. So, wie ich diesen Staat kenne, halte ich für wahrscheinlich, dass es einfach Doofheit war, aber liebe Freunde: So etwas DARF NICHT PASSIEREN!

In Ostdeutschland lebt das alte Deutschland noch. Nicht, das ganz alte, natürlich. Aber das mit Sekundärtugenden wie Fleiß, Höflichkeit und Anstand. Hier engagiert man sich noch, in Vereinen, der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Dorffest. Hier zieht mal Rinderroulade mit Klößen und Kartoffeln dem Dönerteller oft noch vor, und – tolle Erfahrung – hier sprechen einen wildfremde Nachbarn an, um zu plaudern. Über den Garten, den Hund oder die bessere Bäckerei im Ort.

Nicht, dass Sie denken, ist trauere einer guten alten Zeit nach, die natürlich nicht nur gut war. Es gibt tatsächlich ernsthafte Probleme neben der volkswirtschaftlichen Entwicklung und der anhaltenden Massenmigration.

Viele Menschen hier verachten den toleranten Staat, der sich immer um Kompromisse bemüht, der es allen irgendwie recht machen willen. Viele sehnen sich nach dem „starken Mann“(oder der starken Frau), die den Ton angeben, die das Land führen.

Mehrheit? Abstimmen und los

So zu denken, das haben wir im alten Westdeutschland weitgehend verlernt. Und das führt direkt zu der Frage: Sollte man nicht Wahlergebnisse einfach ernst nehmen, statt sie zu interpretieren? Und wieso musste man die frühere SED unbedingt „einbinden, damit sie entzaubert werden kann“, wie man uns sagte. Und mit der AfD darf man aber nicht mal sprechen? Wenn die Sachsen und Thüringer AfD und BSW wollen, dann lasst sie doch machen! Das ist Demokratie. Harald Schmidt hat das jüngst schön gesagt: Demokratie hängt nicht davon ab, was man wählt, sondern dass man frei wählen kann, wie es weitergeht.

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur