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Zum Tod des Historikers Rudolf Morsey (96)

MARTIN EBERTS

Am 14. Mai 2024 ist im Alter von 96 Jahren einer der ganz großen Historiker Deutschlands verstorben. Professor Dr. Dr. h.c. Rudolf Morsey gehörte zu jener Generation von Wissenschaftlern, die nach dem Krieg nicht nur die deutsche Geschichtswissenschaft wieder aufgebaut haben, sondern auch als Begründer einer hoch angesehen Zeitgeschichtsforschung gelten dürfen. Er war einer der maßgeblichen Chronisten der Weimarer Republik und der jungen Bundesrepublik Deutschland.

Promoviert mit einer Arbeit über die Reichsverwaltung unter Bismarck, berühmt geworden u.a. mit einem Standardwerk über das Ende der Parteien 1933 und seinen Arbeiten über Heinrich Brüning, gilt Morsey auch als einer der besten Kenner Adenauers und seiner Zeit. 30 Jahre lang leitete er die Kommission für  Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Mit geprägt hat er auch die von Konrad Repgen – seinem jahrzehntelangen Freund und Kollegen – begründete Bonner Kommission für Zeitgeschichte. Ohne diese beiden Institutionen und Rudolf Morseys Einsatz in ihnen wäre die deutsche Zeitgeschichtsforschung nur ein Schatten ihrer selbst. Legendär sind auch die Editionsreihen, die Morsey verantwortet bzw. mitgestaltet hat, unter anderem zur kirchlichen Zeitgeschichte, insbesondere zur Geschichte der Kirche im Dritten Reich.

Niemals hätte Morsey die Quellentreue auf dem Altar des Politischen geopfert. Das ist in unserer Zeit nicht mehr selbstverständlich, in der sich (wieder) Historiker als Hofschreiber politischer Strömungen verdingen, den Quellenbestand entsprechend sortieren und dann der staunenden Öffentlichkeit Schein-Skandale servieren, die kaum die Zeiten überdauern werden. Diese Art historischer Auftrags-Forschung hätte Rudolf Morsey in seiner stets korrekten und zurückhaltenden Art als „Geschichtspolitik“ bezeichnet – im Klartext: nicht als seriöse Geschichtswissenschaft.

Rudolf Morsey gehört mit Konrad Repgen, Dieter Albrecht und einigen anderen zu jener Generation von Historikern, die nicht nur ihr Handwerk meisterhaft verstanden, sondern auch ein unbestechliches Berufsethos pflegten wie wenige andere, und die deshalb für kommende Generationen von Historikern als Vorbilder gelten dürfen. Dieses professionelle Ethos ließ weder Ungenauigkeiten zu, noch schlechten Stil, weder Pauschalurteile, noch ideologische Filter. Ihre Leidenschaft galt der historischen Wahrheit, von der sie wussten, dass sie nur mit äußerstem Fleiß, unermüdlichem Quellenstudium und aufopfernder intellektueller Redlichkeit aufzufinden ist.

Sein Schriftenverzeichnis enthält weit über 1200 Titel, darunter Standardwerke über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die zur Pflichtlektüre aller Studenten gehören, die sich mit deutscher Zeitgeschichte beschäftigen. Seine zahlreichen Auszeichnungen reichen vom Großen Bundesverdienstkreuz über den päpstlichen Gregoriusorden bis zum Ehrenring der Görres-Gesellschaft.

Mit Rudolf Morsey ist einer der ganz Großen der deutschen und europäischen Geschichtswissenschaft abgetreten. Er und die Mitstreiter seiner Generation haben Gewaltiges geleistet – für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die Zeitgeschichte insgesamt und das Ansehen der Geschichtswissenschaft. Seine Stimme und sein scharfer Verstand werden uns fehlen. Glücklicherweise hinterlässt Rudolf Morsey nicht nur ein beeindruckendes Werk von bleibendem Wert, sondern auch eine Schar von Schülern, denen zu wünschen ist, dass sie seinem Beispiel stets treu bleiben.

Rudolf Morsey war ein frommer Mann, ein guter Katholik. So dürfen wir mit ruhigem Gewissen und größter Zuversicht sagen: requiescat in pace!

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Klaus Kelle, Chefredakteur