Die Toten von Moskau und die Unfähigkeit zum Mitgefühl
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!
Wir alle wissen, dass der Terrorismus nicht besiegt ist. Und so können Bilder wie gestern Abend aus Moskau nicht überraschen, lediglich der Ort, der Zeitpunkt und die Zahl der Toten sind die Nachricht.
Und jedes Mal, wenn wir im Internet dann aktuelle Videos sehen von Männern mit Sturmgewehren, die eiskalt und ohne jedes Mitgefühl durch eine Halle schlendern und nach rechts und links auf alles schießen, was sich bewegt, fragt man sich, frage ich mich: Was soll dieser Wahnsinn?
Als ich gestern Abend nach einer Veranstaltung in Potsdam die Nachricht erhielt, was in der Crokus City Hall in Moskau passiert ist, war mein erster Gedanke: Tschetschenen oder IS. Die Art des Angriffs, die wir schon in so vielen Fällen zur Kenntnis nehmen mussten, deutete darauf hin. Das ist nicht die Art, wie zum Beispiel Paramilitärs, wie Russen im Widerstand oder reguläre ukrainische Truppen vorgehen. Klar, die greifen Munitionsdepots und Tanklager der russischen Armee mit Drohen an. Aber diese vier Herren, die da gestern 60 Unschuldige umgebracht haben – das war allenfalls noch Columbine High School 1999, aber keine militärische Aktion.
Die Versuche von Propaganda-Dreckschleudern, die Deutungshoheit über den Anschlag nur Minuten nach der Tat unter Kontrolle zu bekommen, wären ein gutes Thema hier.
Schon im Zweiten Weltkrieg waren Desinformation und Manipulation der öffentlichen Meinung ein wichtiger Teil der Kriegsführung. Heute, durch das Internet, gibt es global keine Grenzen mehr.
Da stand ein weißer Van vor der Crokus City Hall, und er hatte ukrainische Kennzeichen. Das verbreitete sich bei X (vormals Twitter) und auf Telegram in wenigen Minuten auf der ganzen Welt. Das ist wie die „smoking gun“, von der man behauptet, man habe sie gefunden und wisse nun, was zu tun ist. Wie der unsägliche Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, stellvertretender Chef des russischen Sicherheitsrates. Ich glaube, der Mann sitzt irgendwo gut gekühlt und intravenös versorgt in einem Glaskasten in einem Moskauer Keller, und wenn es darum geht, wüste Drohungen auszustoßen, dann lassen sie ihn kurz raus. Dann kennt er die Täter, ohne sie zu kennen, dann bellt er in alle Welt hinaus, wie unbarmherzig Russland jetzt zuschlagen müsse, dann stellt er auch mal Atomwaffen-Einsätze gegen deutsche Städte in Aussicht. Medwedew ist die Allzweckwaffe. Ein Tweet rausgehauen, und dann tragen sie ihn zurück in seinen Glaskasten und schließen ihn wieder an die Schläuche an, bis er das nächste Mal gebraucht wird.
Was mich in der vergangenen Nacht besonders abgestoßen hat, ist der Hass in den Netzwerken gegen „die Russen“ an sich. Das war und ist ekelhaft.
Da gehen junge Leute in Moskau gut gelaunt in ein Konzert mit Freunden, vielleicht bringt sie der Vater mit einem Auto hin und gibt ihnen noch ein wenig Geld mit für anschließend, wenn sie noch was trinken gehen wollen. Und dann kommen diese Kids nie wieder nach Hause. Ausgelöscht von menschenverachtenden Idioten für irgendwelche wirren „Überzeugungen“. Weltweites Kalifat könnte sein, jedenfalls hat der islamistische IS die Mordtat für sich reklamiert am späten Abend.
Auf Twitter schreibt einer unter ein Video des brennenden Gebäudes in Moskau, alle die da drin seien müssten brennen, ganz Moskau müsse brennen. Es ist ekelhaft, wie empathielos viele Zeitgenossen heute sind. Sie sind unfähig, Mitleid zu empfinden mit den Opfern. Sie sitzen vor einem Bildschirm und fluten das Netz mit Menschenverachtung.
Ein langjähriger Facebook-Freund postet seit Monaten jeden Tag bunte Kacheln, in denen er sich über die Ukraine, das Ehepaar Selenskyi oder Julija Nawalnaja lustig macht, sie unflätig in den Dreck zieht. Bombardements von Städten, Tote, Krüppel, Vergewaltigte – ist ihm alles egal, wenn es nur die richtige Seite trifft. Gestern Abend lese ich von ihm ein leises, besorgtes Posting über die Opfer in der Crokus City Hall in Moskau, und da er Freunde in Moskau hat, über die Sorge, es könnten Bekannte von ihm an diesem Abend dort gewesen sein.
Wenn es die richtige Seite ist, besorgt und mitfühlend, ist es der vermeintliche Feind, dann nur Gefühlskälte und Menschenverachtung.
Wie werden Menschen so? Ist das die Gottlosigkeit unserer Zeit? Versagen Eltern, Schulen? Ist es das Internet, sind es Ballerspiele auf den Handys unserer Kinder? Ich weiß es nicht.
Ich trauere um die Opfer von Moskau gestern Abend, um ihre Familien und Freunde. Und ob sie Russen sind, Ukrainer oder was auch immer, sie waren vor allem eins: Menschen. Und sie sind vollkommen umsonst gestorben.
Ihr Klaus Kelle
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Klaus Kelle, Chefredakteur