Gregor Gysi eröffnet den neuen Bundestag mit einer kluge Rede – doch der Umgang mit der AfD bleibt ein Skandal

Über den Linken-Politiker Gregor Gysi werden einst Historiker noch viele Bücher schreiben. Zu viel in seinem Lebenslauf liegt bis heute in einer Grauzone, und doch kommt an dem Mann im Deutschen Bundestag keiner vorbei. Das sympathische Gesicht des Sozialismus, der Nachlassverwalter der SED, letzter Vorsitzender der DDR-Staatspartei vor der Deutschen Einheit.
Nie werde ich sein Gesicht vergessen, als er in der historischen Volkskammer-Debatte mit Trauermiene sagte: „Was heute hier beschlossen wurde, ist nichts anderes als das Ende der DDR“, woraufhin die große Mehrheit des Parlaments begeistert aufsprang und jubelte.
Gregor Gysi hat es dennoch geschafft
Er ist immer noch da, einer der besten Redner des Hohen Hauses, ein sympathischer Plauderer in Fernseh-Talkshows, ein Grenzgänger, der keine Berührungsängste hat und meisterhaft seine eigene Show „Missverstehen Sie mich richtig“ im Berliner Kabarett „Distel“ moderiert. Mit vielen seiner Gäste, wie zum Beispiel Ex-Kanzler Gerhard Schröder, ist er längst per Du. Vielleicht kein Wunder, wenn man die Haltung der beiden Elder Statesmen zu Russlands Kriegs-Präsident Wladimir Putin betrachtet.
Als Alterspräsident des Deutschen Bundestages hat Gysi heute Vormittag eine kluge Rede gehalten, in der er die Abgeordneten dazu aufrief, auch andere Standpunkte ernst zu nehmen und zu respektieren. „Wir müssen alle ehrlicher werden“, appellierte der 77-Jährige, auch wenn es um essentielle Fragen wie Krieg oder Frieden gehe.
Man dürfe Politiker, „die auf Rüstung und Abschreckung setzten, nicht als ‚Kriegstreiber‘ bezeichnen“, mahnte Gysi, und Leute wie er selbst, die auf Diplomatie setzten, seien keine „Putin-Knechte“. Gysi weiter: „Wir müssen einfach lernen zu respektieren, dass es diese Unterschiede gibt. Wenn wir mehr Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung erreichen wollen, sollten wir in unserer Sprache das Maß wahren, nicht immer bei Menschen mit anderer Auffassung das Übelste unterstellen.“
Ja, reden kann er, der Herr Gysi
Und dennoch lag erneut ein Hauch von Heuchelei über der konstituierenden Sitzung unseres Parlaments. Denn eigentlich hätte der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland für diese Rede am Pult stehen müssen. Der ist nämlich der Älteste im Hohen Haus, doch die anderen Fraktionen hatten die Regeln geändert, so dass jetzt der Abgeordnete mit den meisten Parlamentsjahren reden durfte.
Das ist mehr als ein G’schmäckle und klares Zeichen, dass auch der neue Bundestag die stärkste Oppositionspartei weiter ausgrenzen und ihrer demokratischen Rechte berauben will.
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Klaus Kelle, Chefredakteur