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Guten Morgen, Deutschland!

von KLAUS KELLE

Trump und seine Frauen, Gysi und die europäischen Linken, und der U-Bahn-Treter ist auch gefasst  – Business as usual, die Nachrichtenlage heute Morgen, naja…

Noch nie haben wir an einem Tag so viele Telefonate mit AfD-Politikern geführt wie gestern. Grund sind die geballten schlechten Nachrichten aus der noch jungen Partei, auf die viele Deutsche ihre politischen Hoffnungen setzen. In Stuttgart kündigt die Landtagsabgeordnete Claudia Martin ihren Austritt aus Partei und Fraktion an. Im münsterländischen Coesfeld tritt der ganze AfD-Kreisvorstand komplett zurück. Und in Marzahn-Hellersdorf, einem Berliner Bezirk, würdigt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, ein Mann namens Bernd Pachal, die Rolle des SS-Mannes Reinhard Heydrich, konkret „die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich“ in der damaligen Tschechoslowakei. „Dieser stellte schon vom ersten Moment an die Weichen richtig.“ So etwas kann man sich gar nicht ausdenken.

In den sozialen Netzwerken wird jetzt heftig über all das gestritten. Die einen verteidigen alles und jedes, weil sie sich ihren Traum von einer Partei rechts der Mitte nicht zerstören lassen wollen und die Nase von den etablierten Parteien gestrichen voll haben. Denn die – das muss man an dieser Stelle mal wieder in Erinnerung rufen – tragen mit ihrer jahrelangen Arroganz („Konservative können ja nichts anderes wählen als CDU“) ein erhebliches Stück Mitschuld daran, dass es die AfD überhaupt gibt.

Andere machen sich Sorgen um ihr „Projekt AfD“, denn trotz einer beeindruckenden Reihe von Wahlerfolgen, ist die Partei noch lange nicht über den Berg. Gescheitert allerdings auch noch lange nicht. Machen wir uns nichts vor: Bernd Pachal aus Hellersdorf ist nicht der Gradmesser, ob sich die AfD durchsetzen wird oder nicht. Wie war das denn bei den Grünen in den Gründungsjahren? Mit dem Verhältnis der Partei zum staatlichen Gewaltmonopol, mit den „Stadtindianern“, die jeden Parteitag „bereicherten“, mit Pädophilie-Beschlüssen, mit dem Zustrom von Kommunisten aus Splitterparteien, die eine Chance witterten? Alles schon vergessen?

Nein, was die AfD jetzt erlebt, ist ein ganz normaler Prozess. Da gibt es kluge Köpfe, und es gibt rechtsextreme Spinner wie diesen Gedeon. Da gibt es Leute, die nie vorher in einer Partei waren oder sich auch nur politisch engagiert haben, und da gibt es Überläufer, die früher in anderen Parteien waren, aus Union, SPD und FDP, und die allein deshalb angefeindet werden. Oder die auch vorher schon in drei, vier Parteien waren. Und da gibt es Leute aus dem Establishment, die mit dem Engagement für die AfD etwas riskieren, und um der Sache willen ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzen. Aber es gibt auch Pöstchenjäger, gescheiterte Existenzen, die wie neulich in Nordrhein-Westfalen schon „Fraktionssitzungen“ veranstalten, bevor sie auch nur als Kandidaten aufgestellt worden sind.

Ganz normal, allzu menschlich, würde ich das sagen. AfD-Aktivisten sind in der Masse nicht anders als Pöstchenjäger anderer Parteien. Von einer CDU-Politikerin aus dem Bundestag wurde mir vergangene Woche erzählt, sie werde ins EU-Parlament wechseln. Brüssel sei nicht so weit wie Berlin von ihrer Heimatstadt aus, da könne sie ihre Kinder häufiger sehen. Auch eine Motivation, Politik zu betreiben.

Die AfD muss sich selbst finden. Sie muss all die Kämpfe durchstehen, die auch die Grünen durchgestanden habe. Und sie muss zu sich selbst finden. Durch hitzige Debatten, durch Mehrheitsentscheidungen. Dann wird man sehen, wohin die Reise geht.

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur