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Keine Currywurst in Lage/Lippe

Liebe Leserinnen und Leser,

viel zu selten bin ich in meiner alten Heimat Lippe. In Bad Salzuflen wurde ich geboren, in Holzhausen-Sylbach ging ich zur Gemeinschaftsschule und dann in Lage auf die Freiligrath-Realschule. Frau Drüge, unsere Deutschlehrerin, hatte einen strengen blonden Haarschnitt und quälte uns mit Günter Walraff rauf und runter. Ich erinnere mich nicht mehr, ob wir jemals von Schiller und Lessing oder Shakespeare gelesen haben in ihrem Unterricht, aber „Industriereportagen“ bis zum Erbrechen. Frau Drüge trug immer enge, verhältnismäßig kurz geschnittene, dunkle Kleider, was bei uns 13-jährigen Jungs übrigens einen gewissen Eindruck hinterließ.

Also ich kenne Lage/Lippe recht gut, 35.000 Einwohner, eine Zuckerfabrik, und im Juni 1979 stürzte ein Phantom-Kampfflugzeug der Bundesluftwaffe hier ab, direkt auf ein Wohnhaus im Stadtteil Hagen. Die beiden Piloten und fünf Einwohner starben.

Ja, und dann ist Lage auch der Stammsitz unserer Familie, der Kelles. Meine Großeltern lebten in Lage, alles ein bisschen Heile Welt. Knutschen mit Jeanette im Wald nach dem Unterricht, Physik abschreiben, was man so macht als Schüler auf dem Weg in die Pubertät.

Gestern war ich nach langer Zeit wieder einmal in Lage, Gespräch im kleinen Kreis, Politkram, auch ein bisschen in Erinnerungen schwelgen. Es gab vor über 40 Jahren eine legendäre Wahlveranstaltung der Jungen Union (JU) in Kalletal (Lippe9 mit sage und schreibe 300 Teilnehmern, die sich bei der Wahl des neuen Kreisvorsitzenden mehrheitlich richtig entschieden. Jedenfalls hatte ich elf Stimmen mehr als der andere. Und glauben Sie es oder nicht, jedesmal wenn ich alte Freunde dort treffe im Schatten des Hermannsdenkmals, immer kommen wir auch nach 40 Jahren noch auf diese legendäre JU-Wahl.

Nach unserem Meeting gestern Nachmittag schlug mein guter Freund Lars vor, noch eine Kleinigkeit essen zu gehen, bevor ich die letzten 200 Kilometer mneiner Vier-Tage-Tour über Berlin, Thüringen und Ostwestfalen mit zwei Stunden auf der A2 und der Rückkehr nach Hause abschließen könnte.

Journalisten sind wie Salzsäure, sagt der übelmeinende Volksmund über unsereins: „Sie fressen sich überall durch.“

Mir aber gelüstete es nur nach einer schnöden Currywurst, extra scharf, Rostbratwurst am liebsten vom Holzkohlegrill. Grillwürstchen vom Holzkohlegrill, liebe Freunde, das ist Hochkultur, ganz großes Kino, wenn es gut gemacht wird. Das unterscheidet den edlen Ostwestfalen auch vom zurückgebliebenen Rheinländer, der bisweilen sogar Brühwürste in eine Fettpfanne legt, bis die Haut der Wurst erst braun wird und dann platzt. Dann schütten sie lustlos Ketchup aus der Plastikflasche drüber und behaupten, das sei eine Currywurst. Was für ein kultureller Frevel.

Machen wir es kurz: Lars und ich – natürlich beide keine Regenjacke dabei – irrten durch die übersichtliche Fußgängerzone am Rathaus und suchten mit wachsender Verzweiflung nach einem guten alten Grill, gern mit Spielautomaten und Dosenbier, um Currywurst zu essen und dem Regenschauer zu entkommen. Es gelang uns nicht. Wir waren klitschnass und hungrig. Lars rief mit seinem Handy im Regen sogar noch einen CDU-Ratsherr an, um zu fragen, wo man in der Innenstadt eine Currywurst kaufen kann. Er wusste es auch nicht. Dönerbuden, Gyros-Tavernen, China-Läden, alles reichlich da. Aber keine Currywurst, Und so stirbt wieder ein Stück unserer guten alten Esskultur, auch in meiner Heimat.

Schließlich landeten wir gutbürgerlich im „Alt Lage“ und gönnten uns einen Grillteller für zwei mit Pommes und Gemüse. Und Ketchup/Majo, versteht sich. In Lippe versteht man etwas vom guten Essen.

Aber dass es in meiner alten Heimat, am Stammsitz der Kelles, keine Currywurst mehr zu kaufen gibt, das wird mich noch eine Weile beschäftigen.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur