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Vom Zynismus der Mächtigen: Der Umgang mit der AfD im Deutschen Bundestag ist eine Schande

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie alle kennen das berühmte Zitat des großen französischen Philosophen und Aufklärers Voltaire: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Im Grunde ist das der Kernsatz der Demokratie, die nicht nur die Herrschaft der Mehrheit ist, sondern zu der Vielfalt und Toleranz unbedingt dazu gehören. Vielfalt und Toleranz, das sind Begriffe, die besonders gern die politische Linke in Deutschland wie eine Monstranz vor sich herträgt und gleichzeitig völlig unfähig ist, danach zu handeln oder auch nur den tieferen Sinn dieser Begriffe zu begreifen.

In einer Demokratie darf jeder denken, sagen und schreiben, was er oder sie will. Man darf sich zur Durchsetzung eigener Überzeugungen organisieren und versammeln, man darf werben, hat Zugang zu freien Medien, die die Vielfalt in der Gesellschaft nach Kräften abbilden. So oder ähnlich stünde es in einem Handbuch, einer Zentralen Dienstvorschrift für Demokratie und Freiheit. Und merken Sie was: All diese Grundvoraussetzungen für eine Demokratie werden in unserem Alltag immer mehr geschliffen, ja eingeschränkt.

Unsereins freut sich schon, wenn nicht alle Gäste bei Anne Will dem linken Mainstream nachhecheln. Hast Du gesehen, gestern Abend durfte einer (!) mal die Gottkanzlerin kritisieren. Toll, oder? In einer Demokratie würde die wichtigste Talksendung im deutschen Fernsehen bei Anne Will auch mal eine konservative Mehrheit in der Runde haben. Oder wenigstens 2:2. Aber darüber redet gar keine mehr, es ist klar, dass bei Will, Maischberger und Co. nur linkes Gesülze abgesondert wird. Immer, bei jeder Sendung. Die – männlichen – Kollegen Lanz und Plasberg machen es deutlich besser und holen auch mal echte Diskussionsgäste in ihre Sendungen. Die Damen aber haben nichts drauf außer Frauensoli mit Schwester Angela und ihrem Girl’s Camp.

Freiheit und Demokratie, das bedeutet jeder, wirklich jeder, darf denken und sagen was immer er oder sie will. Selbst den größten Schwachsinn, selbst Radikales, sofern es gewaltfrei ist. Gewalt ist in der politischen Auseinandersetzung immer No-Go. Rassismus auch, Judenhass, Menschenhass überhaupt – das dürfen wir nicht zulassen. Aber ob jemand Sozialist oder Kapitalist ist, für Monarchie oder für Direktwahl, für Gesamtschule oder Elitenförderung – hey, streiten wir, brüllen wir uns an. Aber bleiben wir tolerant!

Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn sie sich selbst Regeln gibt, und diese Regeln für alle gelten. Auch in der Parteipolitik, auch in unseren Parlamenten. Die Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen des Deutschen Bundestages bieten vor den Augen der Bevölkerung seit nunmehr vier Jahren ein jämmerliches Schauspiel. Und das betrifft den Umgang mit der AfD. Die wird von bis zu sechs Millionen Menschen in einer freien und geheimen Wahl gewählt, und für sie setzt man die Spielregeln des Parlaments außer Kraft, auf die wir doch eigentlich alle so stolz sein sollen.

Von 1949 bis 2017 war es Brauch im Hohen Haus, dass der älteste gewählte Bundestagsabgeordnete als Alterspräsident die erste Sitzung der neuen Legislaturperiode mit einer Rede eröffnen darf. Das wäre 2017 der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland gewesen, der sein halbes Leben in der CDU verbracht hat und fernab von irgendeinem Nazi-Verdacht sein sollte. Doch der Bundestag änderte die Regeln, nur und ausschließlich, um zunächst die Rede des AfD-Politikers Wilhelm von Gottberg, später Alexander Gaulands Rede zu verhindern. Wie undemokratisch ist das denn? Vor was haben die Herrschaften im Bundestag denn Angst? Ab nun galt: Alterspräsident wird der Abgeordnete mit den meisten Parlamentsjahren. Und so war Gauland raus. Dieses Mal ist dann Wolfgang Schäuble an der Reihe, da sind wir alle wieder unter uns. Angst vor einer Rede im Bundestag. Wir krank ist das?

Allein dieser Vorgang ist beschämend für ein demokratisches Parlament. Doch es geht noch weiter.

Das Parlament hatte sich schon lange vor der AfD darauf geeinigt, dass jede Bundestagsfraktion das Recht hat, im Präsidium des Bundestags mit einem Vizepräsidenten vertreten zu sein. Jede. Ich weiß nicht, was man an diesem Wort missverstehen kann. Doch obwohl die AfD als kopfstärkste Oppositionsfraktion 2017 ins Parlament einzog, verweigerte man der Partei diesen Sitz. Sechs AfD-Kandidaten traten mehrmals für diese Position an, die Mehrheit verweigerte die notwenige Zustimmung jedes Mal. So blieb der Partei der ihr zustehende Vize-Posten verwehrt, was ein unglaublicher Skandal ist, ja Rechtsbeugung und Zynismus der Allparteien-Koalition allemal. Denn selbst CDU, CSU und FDP zucken keinen Moment, einen Vizepräsidenten aus der SED-Nachfolgepartei durchzuwinken. Doch eigentlich sollte die Partei vollkommen wurscht sein – es ist das Recht der AfD, diese Position zu bekommen.

Nun schickt die Partei den neuen Abgeordneten Michael Kaufmann aus Thüringen ins Rennen, der im Freistaat bereits Vizepräsident des Landtags gewesen ist. Wir alle können uns ausmalen, wie die Abstimmung verlaufen wird.

Man muss kein Freund der AfD sein, wirklich nicht. Ich bin auch kein Freund der Linken und gar kein Freund der Grünen – aber wenn diese Parteien von den Bürgern gewählt werden, dann haben sie das Recht auf faire Behandlung – im Parlament, in den Medien und am Infostand in der Fußgängerzone. Aber die Mehrheitsfraktionen verwehren der AfD einige der ihr zustehenden Rechte. Und sie zeigen der Bevölkerung damit eindrucksvoll, was sie wirklich halten von der Demokratie und den Regeln, die sie und ihre Vorfahren einst selbst geschaffen haben.

Ich weiß nicht, ob die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht irgendeine Chance hätte, wahrscheinlich nicht. Nicht, weil ich dem Gericht nicht traue, sondern weil letztlich der Souverän entscheidet – die vom Volk frei gewählten Bundestagsabgeordneten, und wenn die sich absprechen, eine ungeliebte politische Konkurrenz zu benachteiligen, dann tun sie es einfach.

Aber es ist eine Schande, was hier vor unser aller Augen aufgeführt wird.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur