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In dubio pro reo – das gilt auch für mächtige Politiker und ihre Hauskredite

Liebe Leserinnen und Leser,

damit wir uns nicht missverstehen: Wenn es einen Anfangsverdacht gibt, dass ein einflussreicher Politiker korrupt sein könnte, dass er persönliche Vorteile über sein Amt und seine „Connections“ einkassiert hat, dann muss der Staat da ein Auge drauf haben. Dann müssen Ermittler die Spur aufnehmen, dann muss das Parlament ggf. auch die Immunität des Abgeordneten aufheben, damit nach Recht und Gesetz ermittelt werden kann.

Das unterscheidet die Demokratie, das unterscheidet uns von Verbrechersystemen

Aber eins muss auch klar sein: Bis zum Beweis eines rechtlichen Fehlverhaltens sind auch Politiker ganz normale Menschen, für die vor dem Gesetz zunächst einmal grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt.

Die Unschuldsvermutung, das freut mich natürlich besonders, geht auf den französischen Kardinal Jean Lemoine (1250–1313) zurück. Und im Jahr 1631 wurde sie im deutschsprachigen Raum mit der Formulierung in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) von Friedrich Spee in der Cautio Criminalis, als umfangreiche Schrift gegen die Praxis der zu der Zeit überhandnehmenden Hexenverfolgungen, aufgegriffen und vertieft, wie ich bei Wikipedia gelernt habe.

Also: Anfangsverdacht verfolgen, aber fair bleiben – auch gegenüber Politikern, Millionären, Konzernchefs oder was auch immer. Jeder ist vor dem Gesetz gleich, weil – wie wir von Jesus Christus gelernt haben – ein jeder Menschen gleich viel wert ist. Ach, es ist so schön, zu wissen, dass alles mit allem zusammenhängt.

Allerdings gibt es auch die Unsitte, dass mächtige und prominente Menschen öffentlich hingerichtet werden, obwohl – wie im Fall Kachelmann – die Vorwürfe offenkundig falsch waren und er freigesprochen wurde. Oder beim Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dem legte man etwas Ähnliches wie jetzt Lindner zur Last, nämlich eine ungewöhnlich günstige Immobilienfinanzierung. Auch dieser Zusammenhang zwischen politischem Amt als Ministerpräsident und Hausfinanzierung konnte nicht nachgewiesen werden. Doch, wenn so eine Hetzjagd erstmal beginnt, kommt schnell eins zum anderen. Zwei Tickets zum Oktoberfest, eine Hotelübernachtung, ein geschenkter Bobbycar für den kleinen Sohn werden da zu Staatsaffären. Und da muss ich dann aber auch sagen:

Es ist manchmal irre, was in Deutschland schon als Korruption angesehen wird

Oder meinen Sie, Silvio Berlusconi habe damals verstanden, warum Christian Wulff als Staatsoberhaupt zurücktreten sollte? Oder Sarkozy, Putin oder Frau Laila jüngst im Europaparlament? Wegen zwei Oktoberfest-Karten, wegen einer Hotelübernachtung oder einem Bobbycar? Für sowas muss man in Deutschland wohnen. Und, auch das gehört zur Wahrheit dazu, die Drohung Wulffs auf die Mailbox des damaligen BILD-Chefredakteurs Kai Diekmann gesprochen, das war auch verrückt. Ein Staatsoberhaupt muss Contenance bewahren. Aber vielleicht hat er irrtümlicher Weise gedacht, er und Diekmann seien „Freunde“. Sowas gibt’s nicht zwischen Politikern und Journalisten, wenn die Witterung aufgenommen worden ist.

Christian Lindner, den ich verschiedentlich gewählt und es danach bitter bereut habe, muss und wird sich den Ermittlungen stellen. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass er so dumm sein soll, Amt und Hauskredit zu vermischen.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur