Antisemitismus ist in Deutschland nicht nur ein Problem der AfD
von KLAUS KELLE
Björn Höcke, der – vorsichtig ausgedrückt – seltsame Landesvorsitzende der AfD in Thüringen hat große Teile der deutschen Bevölkerung in den vergangenen Tagen empört. Und das zu recht! Der industriell organisierte Massenmord an Millionen Menschen in diesem Land ist ein singuläres Ereignis, an das man auch in 100 und 500 Jahren noch erinnern muss. Die Gedenkstunde gestern im Deutschen Bundestag war ein gutes Beispiel dafür, wie unsere Gedenkkultur aussehen kann. Wer diese Gedenkkultur öffentlich schmäht und „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, disqualifiziert sich sowohl als Lehrer als auch als Politiker in diesem Land.
Da gibt es auch nicht zu relativieren oder aufzurechnen. Der bis heute in unserer Gesellschaft anzutreffende Hass gegen Juden und gegen den Staat Israel ist ohne Wenn und Aber inakzeptabel und sollte auf massiven Widerstand der hochgelobten Zivilgesellschaft stoßen.
Auch wenn es um Antisemiten und Israel-Hasser in der früheren SED geht, deren Rechtsnachfolger jetzt Die Linke heißt. Da gibt es immer wieder Fälle wie die unsägliche Bundestagsabgeordnete Höger, die offen den alljährlichen „Al Quds“-Tag unterstützt, wo Muslime durch Berlin ziehen und „Israel ins Gas“ skandieren, wo Eltern ihren Kleinkindern (hoffentlich) Attrappen von Sprengstoffgürteln gut sichtbar umschnallen. Gibt ja schöne Erinnerungsfotos. Die Linke ist dabei, diese Partei, die nach Ansicht der SPD und der Grünen für den Herbst 2017 ein respektabler Koalitionspartner werden könnte. Warum wird Frau Höger der Zutritt zu KZ-Gedenkstätten nicht verwehrt? Sind linksextreme Antisemiten sympathischere Menschen als rechtsextreme?
Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, bekannt auch als WAZ, berichtete vorgestern über das Holocaust-Gedenken an einer Gelsenkirchener Schule, am Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe. Ein engagiertes Lehrerkollegium veranstaltet vor dem Hintergrund des 27. Januar 1945, als das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde, alljählich Aktionen zum Gedenken, dieses Mal mit Selfies, die die Schüler von sich und einem Schild „Ich erinnere mich“ machen sollten. Von den rund 550 Schülern sind aber etwa 40 Prozent Muslime aus der Türkei und arabischen Ländern. Da kommt der Gedanke des Mitfühlens an die Opfer des Holocaust nicht bei jedem gut an. Einmal stand morgens an einer Tafel der Satz: „Fuck Israel, free Palestine“. Der Urheber wurde nie ausfindig gemacht. Andere Schüler verweigern die Teilnahme an der Aktion, auch weil sie befürchten, dann zu Hause oder – Neudeutsch – in der muslimischen Community in der Nachbarschaft Ärger zu bekommen. Andere hätten gefragt: „Warum immer die Juden? Es gibt schließlich auch andere Probleme auf der Welt.“
Ist Antisemitismus also akzeptabel, wenn er von Muslimen kommt? Natürlich nicht! Antisemitismus ist nie akzeptabel, so wie Rassismus auch nie akzeptabel ist. Oder Kinderpornografie. Was ich allerdings zunehmend vermisse, ist der gleiche Widerstand aus Politik und Gesellschaft, wenn es um den anderen, den nicht rechts motivierten Antisemitismus geht. Der ist genau so ekelhaft.
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Klaus Kelle, Chefredakteur