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Blackout-Experte Herbert Saurugg im Interview: „Viele Dinge passen nicht zusammen“

Herbert Saurigg beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Frage, was tun, wenn der große Blackout kommt.

BERLIN – Der Begriff „German Angst“ ist inzwischen weltweit geläufig. Wir Deutschen haben Angst, vor einem kalten Winter, vor Rechnungen, die wir nicht bezahlen können, vor einem Krieg und vor dem bösen rechtspopulismus. Vor allen Dingen haben wir aber Angst vor einem großen Blackout – kein Strom, kein Wasser, keine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Dann ist endgültig Feierabend. Zeit, dass sich TheGermanz mit einem echten Experten darüber unterhält: Herbert Saurugg.

Wie wird man denn Blackout-Experte, Herr Saurugg? Das war doch bestimmt nicht Ihr Kindheitswunsch.

Nein, das war Zufall. Vom Beruf bin ich Offizier und war bis 2012 im Bereich der Cybersicherheit tätig. 2010 begann ich ein berufsbegleitendes Studium und wollte mich mit Cybersicherheit und Krisenmanagement auf staatlicher Ebene beschäftigen. Durch Zufall kam ich dabei auf das Thema Stromversorgung und merkte schnell: Da gibt es ein Problem. Vor zehn Jahren waren bereits Defizite erkennbar.

Heute beraten Sie was und wen?

Querdurch. Von Ministerien, Gemeinden, Städten, Unternehmen bis zu Krankenhäusern. Das ist auch mein Alleinstellungsmerkmal. Durch diese Vielseitigkeit habe ich einen guten Einblick, wie die aktuelle Vorsorgesituation wirklich aussieht, abseits der Wortspenden, die gerne getätigt werden.

Und wie ist der aktuelle Stand dort?

Nicht sehr gut. Es fehlt schlichtweg das Bewusstsein. Vielen ist gar nicht klar, dass es nicht nur um den Stromausfall selbst geht, sondern um das, was danach passiert. Lieferketten sind unterbrochen und teilweise wird es Wochen dauern, diese wieder aufzubauen.

Kanzler Olaf Scholz hat ein Machtwort gesprochen. Alle übrig gebliebenen drei Atomkraftwerke bleiben in Deutschland bis zum 15. April 2023 am Netz. Eine gute Idee?

Ich denke, diese Entscheidung ist, wenn man sieht, in welcher Situation wir uns befinden, eines der wenigen positiven Signale. Gerade für die Systemstabilität sind die drei Atomkraftwerke sehr hilfreich.

Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden, sagt, er halte einen Blackout in Deutschland für sehr unwahrscheinlich. Hat er recht?

„Das Schwarz-Weiß-Denken in einer komplexen Welt ist tödlich“

Das Problem ist, man kann die Wahrscheinlichkeit nicht messen. Wir haben keine Daten, um die Wahrscheinlichkeit seriös beurteilen zu können. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit den Entwicklungen im europäischen Verbundsystem. Aus meinem systemischen und komplexitätswissenschaftlichen Blick stelle ich fest, dass viele Dinge nicht zusammenpassen und dass dadurch die Gefahr steigt, dass diese in absehbarer Zukunft technisch nicht mehr beherrschbar sein werden.

Viele Akteure betrachten lediglich ihren Einzelbereich. Doch der systemische Blick, wie geht man mit extremen Ereignissen um, wird kaum beachtet. Wenn ich mir die Medienberichte anschaue, wird häufig mit Zahlen aus der Vergangenheit argumentiert. Doch diese sagen wenig aus. Es herrscht hier leider sehr viel Unwissenheit. Wenn ich mir ansehe, was derzeit alles parallel schiefgeht, kann mir keiner erzählen, dass das Risiko eines Blackouts nicht gestiegen ist. Letzten Endes geht es auch nur um die Frage: Wären wir als Gesellschaft in der Lage, mit diesen Extremsituationen umzugehen? Meines Erachtens sind wir das nicht.

Viele würden Ihnen Panikmache vorwerfen und sie bedienten Verschwörungstheorien.

Das Argument der Panikmache wird immer von den Leuten verwendet, die in der Verantwortung stehen, aber diese nicht wahrnehmen. Es wird totgeschwiegen. Dadurch wiegt man die Menschen in Scheinsicherheit und nimmt ihnen die Chance, vorzubeugen.

Das Argument der Verschwörungstheorie höre ich seit einigen Monaten. Ich befasse mich seit zehn Jahren mit dem Thema. Damals waren wir nur wenige. Das Problem in Deutschland ist auch, dass die AfD seit einigen Jahren vor einem Blackout warnt. Damit wurde das Thema für andere Parteien ein No-Go. Diese Polarisierung ist das Gefährlichste, was wir machen können. Das Schwarz-Weiß-Denken ist in einer komplexen Welt tödlich. Real tödlich.

„Man empfiehlt Vorräte für wenigstens 14 Tage.“

Haben Stromausfälle in Deutschland zugenommen?

Laut der SAIDI-Statistik kaum – die Zahlen für heuer bekommen wir erst im nächsten Jahr. Jedoch misst diese auch nur Ausfälle ab drei Minuten. Gerade aber in Unternehmen können Stromausfälle von wenigen Sekunden bereits massive Schäden auslösen. Allerdings wäre eine Zunahme auch nicht unbedingt ein Indikator für eine höhere Gefahr für einen Blackout. Das muss man trennen.

Viele sagen, dass man nun auf erneuerbare Energien setzen sollte, um die Versorgungslücken zu kompensieren. Ist da etwas dran?

Das ist genau der falsche Ansatz. Es muss immer genauso viel Strom erzeugt werden, wie gerade verbraucht wird. Derzeit gibt es jedoch kaum Speicherkapazitäten, womit mehr volatile Erneuerbare automatisch mehr Probleme schaffen. Wenn man konventionelle regelbare Kraftwerke durch Photovoltaik und Windkraft ersetzt, die nicht regelbar sind, dann hat man absehbar ein technisches Problem. Da braucht man gar nicht über Ideologie und Wunschvorstellung sprechen. Physik ist nicht verhandelbar. Werden die Grenzen der Physik überschritten, kommt es zum Kollaps.

Nun sagten Sie, dass der Stromausfall das eine ist, aber die gestörten Lieferketten viel gravierendere Auswirkungen haben. Während der weltweiten Lockdowns aufgrund der Angst vor Corona kam es zu Lieferkettenproblemen, die teilweise heute noch nicht behoben sind. Was passiert denn bei und nach einem Blackout?

Entscheidend ist ein großflächiger Stromausfall, bei dem eine Hilfe von außerhalb nicht mehr möglich ist. Zunächst kommt es zu einem Ausfall von Telekommunikationsversorgung mit Handy, Festnetz und Internet. Damit funktioniert nichts mehr. Aufzüge bleiben stecken, man kann nicht mehr einkaufen und nicht mehr tanken gehen. Alles steht still. Nach wenigen Stunden bereits verenden Millionen Tiere in der Tierhaltung. Selbst bei einem Stromausfall von zehn Stunden können die Auswirkungen Wochen dauern. Die Telekommunikationsversorgung wird auch frühestens erst nach ein paar Tagen nach dem Stromausfall wieder funktionieren. Ohne ihr funktioniert jedoch keine Produktion, keine Warenverteilung oder Treibstoffversorgung. Daher empfahl bereits 2016 der damalige Innenminister Thomas De Maizière Vorräte für 14 Tage.

„Derzeit haben wir keine Option“

Was würden Sie der Politik jetzt dringend empfehlen?

Ehrlichkeit. Das Problem muss offen angesprochen werden. Wir befinden uns in der größten Energie- und Infrastrukturtransformation aller Zeiten. Und bei Transformationen kann es zu unvorhergesehenen Ereignissen kommen – gerade in der Stromversorgung. Wichtig ist auch zu kommunizieren, wo die Grenzen der organisierten Hilfe sind. Die Politik muss ihren Bürgern klar auffordern: Ihr müsst euch selbst vorsorgen. Das gilt auch für Unternehmen. Viele Betriebe gehen mit dem Thema Blackout sehr blauäugig um. Auch kritische Fragen müssen erlaubt sein.

Leider ist es so, dass ich kurzfristig mit einem derartigen Schwenk nicht rechne. Hinzu kommt die Gasproblematik. Simulationen im August haben gezeigt, dass ohne Nord Stream 1 ab November in Deutschland mit massiven Gasversorgungsproblemen zu rechnen ist. Ob sich das jetzt um zwei Wochen verschiebt, ist irrelevant. Wir müssen bis April durchkommen. Zudem sorgen über 1.400 Gaskraftwerke in Europa dafür, dass das System stabil ist. Wenn zu wenig Gas da ist, bekommen wir auch Probleme mit der Stromversorgung.

Also würden Sie sagen: Alles, was geht, muss ans Netz?

Das ist eine plakative Forderung. Das Problem ist: Es funktioniert nicht. Die Kohlekraftwerke, die jetzt wieder am Netz sind, sind seit Jahren heruntergefahren worden. In Personal sowie in Wartung wurde kaum mehr investiert. Wir wissen gar nicht, wie störungsanfällig diese Anlagen sind und was im Winter passiert. Wir haben kaum Reserven mehr. Alle Gaskraftwerke können wir auch nicht anschalten, da nicht genügend Gas da ist. Derzeit haben wir kaum mehr Optionen.

Herbert Saurugg, MSc, ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie Keynote-Speaker und Interviewpartner zum Thema „ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall (‚Blackout‘)“.

Das Interview mit Herbert Saurugg führte Julian Marius Plutz.

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Klaus Kelle, Chefredakteur