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Holocaust-Gedenken: Nicht nur an den Judenhass von früher denken, sondern auch an den aktuellen

Demonstration gegen Antisemitismus in München (Odeonsplatz).

von JULIAN MARIUS PLUTZ

BERLIN/TEL AVIV – An Yom HaShoah steht in Israel für zwei Minuten die Zeit still. Am israelischen Holocaustgedenktag am 18. April heulen um 10 Uhr für zwei Minuten im ganzen Land die Sirenen. Für 120 Sekunden herrscht im Judenstaat Stillstand. Für diese Zeit hören Menschen auf zu Arbeiten. Auf Autobahnen steigen die Menschen aus ihren Fahrzeugen. Sie stellen sich gemeinsam auf die Straße, falten die Hände und stehen still.

Das Gedenken in Israel beschränkt sich nicht auf die toten Juden, die in den Höllenlagern der Nazis ihr Leben verloren. Dort blickt man auch in die Gegenwart und in die Zukunft. Welchen Judenhass gibt es heute im Jahr 2023? Wie können sich Juden wehren? Wie kann man Antisemitismus verhindern. Wenn eines klar ist, dann, dass die deutschen KZ nicht mehr eröffnet werden. Keine Deportation nach Dachau. Kein Todesmarsch nach Auschwitz. Keine Kammern, keine Leichenberge und keine Spintnummern.

Erschreckende Aussteigergeschichten

Der Judenhass von 2023 kommt in Europa anders daher. Das wissen Israelis ganz genau, da für viele der europäische Antisemitismus ein Grund für ihre Ausreise gewesen ist. Und für die, die noch hier leben, gilt nicht selten die Geschichte des berühmten gepackten Koffers, um auszuwandern, als bittere Konsequenz ständiger Anfeindungen. Auch die Tätergruppen sind klar. Neben einigen versprengten Neonazis sind es vor allem Muslime, die bedrohen, beleidigen, verletzen und manchmal sogar töten.

Allein diese Wahrheit auszusprechen genügt, um als islamophob zu gelten

Ein Wort, das Ayatollah Chamenei selbst erfand, um den Westen einen Hass zu unterstellen, den es in dieser Form nicht gibt. Doch er ist real. Wenn ein junger muslimischer Twitternutzer von anderen muslimischer Twitternutzern handfest bedroht wird, weil er Kontakt mit einem Juden hat, dann ist das kein Einzelfall, sondern der Beginn vom Ende einer Pluralität, die eine westliche Demokratie ausmachen sollte. Solche Fälle zeigen nicht nur, wie rückschrittlich große Teile der islamischen Gemeinschaft sind, sondern auch wie toxisch sie agieren und welche schlimmen Auswirkungen sie evozieren können.

Aufgrund meiner relativen Sichtbarkeit auf Twitter kommt es immer wieder vor, dass junge Menschen auf mich zukommen, um um Rat zu fragen, oder sich mit mir austauschen wollen. Nicht selten sind es Muslime. Die Geschichten sind oft erschreckend. Von Ängsten, sich als homosexuell zu outen bis hin zu Morddrohungen, weil man Mohammed-Karrikaturen gezeichnet hat, wie im Fall Mohammed Ali Slim, sind leider die Regel. Wer aussteigt, so scheint es, steigt so aus, wie man aus einer Sekte steigt. Der Bruch mit der Familie ist sicher. Unsicher dagegen ist das eigene Leben. Es hat seinen Grund, weshalb es in Deutschland einen “Zentralrat der Ex-Muslime” gibt und keinen “Zentralrat der Christen” und auch keinen “Zentralrat der Juden”.

Was nicht sein darf, das existiert auch nicht

Auch für solche Fälle sollte es einen Holocaustgedenktag geben. In Deutschland. Das “Nie Wieder” wird nur für vergangene Taten verwendet. Sei es für die Shoah, oder sei es für den heutigen Judennhass an lebenden Juden. Ein Freund sagte einmal: “Die Deutschen haben die Juden am liebsten als Stolpersteine”. Dieser sicherlich harte Satz trifft einen Kern: Auch in den deutschen Erinnerungsrhytmen stören lebende Juden. Sie sind Teil eines Antisemitismusproblems von muslimischer Seite, über das man hierzulande am liebsten nicht sprechen möchte.

Doch die Wahrheit ist: Muslimischer Antisemitismus bestimmt die Gefahrenlage für jüdisches Leben in Deutschland. Doch noch schlimmer, als die Täter selbst, sind diejenigen, die zuschauen und verharmlosen. Dies wurde mir in zahllosen Diskussionen deutlich. Viele möchten die Augen gar nicht vor der Realität öffnen. Was nicht sein darf, das existiert auch nicht. Und was nicht existiert, das braucht man auch nicht bekämpfen. Irreführende Statistiken, wie die Aussage, dass die allermeisten Straftaten gegen Juden von Rechts käme, bieten den Appeasern nur noch mehr Munition. Dabei wird jedes Hakenkreuz und jedes “Sieg Heil” dem Rechtsextremismus zugeschrieben, obwohl jeder weiß, was bei einer durchschnittlichen “Palästina-Demo” so alles krakeelt wird.

Es gibt kein schuldfreies Leben für die, die die Augen verschließen

All diese Probleme könnten in einem Holocaustgedenktag aufgegriffen werden. So könnte man ein “Nie wieder” mit Leben füllen. Doch statt aktuelle Fälle zu besprechen, werden vergaste Juden, die das Auschwitz Memorial zur Verfügung stellt, auf Twitter retweetet. Für das eigene Gewissen und für das Vergessen. Denn je öfter man etwas wiederholt, desto weniger denkt man darüber nach. Irgendwann ist die Handlung vergessen, weil sie wie automatisch abgespult wird.

In Deutschland gedenken hauptsächlich die Politiker am 27. Januar an die Shoah. Neben sakrosankten Reden bleibt Jahr für Jahr wenig bis gar nichts von diesem Tag übrig. Wir sollten uns ein Beispiel an Yom HaShoah in Israel nehmen. Zwei Minuten kollektives Erinnern. Und das Wichtigste ist: Nach den zwei Minuten geht das Leben weiter. Es gibt ein schuldfreies Leben nach dem Holocaust. Zumindest für die, die nicht aktiv dabei waren. Aber es gibt kein schuldfreies Leben für Deutsche, die immer wieder an die systematische Vernichtung der Juden durch die Nazis erinnern, die aktuelle Vernichtungsabsichten aus dem Jahr 2023 aber aufgrund politischer Korrektheit ignorieren.

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Klaus Kelle, Chefredakteur