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Zwölf Stunden mit der Deutschen Bahn: Kann man machen, muss man aber auch nicht

Liebe Leserinnen und Leser,

mehr als zwölf Stunden habe ich gestern im EC „Blauer Enzian“ von Salzburg nach Düsseldorf verbracht. Der Grund: das Wetter.

Sturmböen, Wirbelstürme, sogar Tornados in Deutschland. Große Teile des Bahnverkehrs waren ab Mittag großflächig komplett lahmgelegt.

Aber was machst Du da, 800 Kilometer von zu Hause entfernt? Klar, Fahrschein kaufen und losfahren. Völlig überfüllt alles, stundenlang keine Versorgung mit Getränken, nicht einmal mit Mineralwasser, geschweige denn Kaffee. Immerhin begannen einige der Jüngeren von ihren Sitzplätzen nach und nach aufzustehen, um für vorangig ältere Männer Platz zu schaffen, damit die nicht umfallen. Die Durchsagen über Lautsprecher, dass der Zug überfüllt sei, und man so nicht weiterfahren könne, trugen auch nicht zur besseren Stimmung bei. Ich meine, man steht in Stuttgart und dann in Mannheim im überfüllten Zug und wartet, dass es endlich weitergeht. Der Mann im Lautsprecher sagt, ein Teil der Fahrgäste müsse aussteigen, weil sonst fahre man nicht weiter.

Aber niemand steigt aus. Und nach einer halben Stunde fahren sie dann los – dann doch mit allen, die an Bord sind. Und man fragt sich unwillkürlich, warum sind wir nicht vor einer halben Stunde einfach losgefahren, damit wir weiterkommen?

Und der Mann im Lautsprecher ermahnt alle, unbedingt die Schutzmaske vorschriftsmäß zu tragen. In Koblenz gab es endlich eine Pause – 40 Minuten, um eine neue Zugmannschaft heranzuschaffen, weil alle Arbeitszeit-Regelungen des Manteltarifvertrages bereits gesprengt waren. Auf dem Bahnsteig eine (!) Ausgabestelle, und der Deutsche ist wie er ist, Kampf um jeden Leibnitz-Butterkeks und jede Limo. Einer hatte sich sieben Flaschen Cola mitgenommen unter deutlischem Murren der Umstehenden, darunter Rentner und Mütter mit kleinen Kindern.

Am Ende hatten vielleicht die Hälfte der Fahrgäste nach stundenlanger Tortur wenigstens ein Getränk erhalten. Die anderen waren sauer. Einige aber so richtig sauer und stapften laut schimpfend wieder zu ihrem Wagen.

Einziger Lichtblick waren die drei jungen Leute an meinem Tisch, zwei Frauen, wohl Medizinstudentinnen oder junge Ärztinnen und ein junger Mann aus Dortmund, BVB-Fan, wie ich erfuhr. Ich sagte dem mir völlig Fremden, dass es am Samstag in Bielefeld nichts zu holen gäbe für seine Millionärstruppe, dann begannen wir zu spielen. Wirklich wahr, die beiden Mädels suchten aus den Orten, durch die wir holperten, Fragen wie: Bürgermeister hier Mann oder Frau? Wer regiert die Stadt in welcher Koalition? So lernte ich während der beiden Stunden bis Köln Hauptbahnhof allerhand, zum Beispiel, dass der OB von Koblenz bei der CDU ist und der von Mainz ein Sozi. Zwischendurch auch mal, wie oft es Olympische Winterspiele in Innsbruck gegeben hat oder wie hoch die höchste natürliche Erhebung in der Eifel ist, oder wie viele Medicis Päpste wurden in der Geschichte. Wussten wir irgendwas nicht, stellten wir die Frage der Allgemeinheit im Großraum, sozusagen unser Publikumsjoker. War echt schön, hat allen Spaß gemacht, und ich fand es schade, als die Mädels in Köln rausmussten. Ich bin nicht so ein Typ, der gern Gesellschaftsspiele spielt – außer „Risiko“, weil das so etwas brutal männliches hat. Das mag ich. Und diese spontane Bespaßung im EC.

Kurzum: eine Viertelstunde nach Mitternacht war ich zu Hause, Taxi für 68 Euro. Mir reichte es einfach. Aber ich habe den ganzen Tag hautnah miterlebt, was für ein Saftla…, äh, Unternehmen die Deutsche Bahn ist, was für unglaublich asoziale Menschen es unter uns gibt und was aber auch für fröhliche und intelligente junge Leute. Es bleibt spannend in Deutschland.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur