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Häme, Niedertracht und Bösartigkeit

Den Pranger gibt es auch heute noch, zum Beispiel im ZDF: Und ihr glaubt noch, ihr seid die Guten?

Danny Seidel
Mittelalterlicher Pranger . gibt es heute auch Im Fernsehen

Die jüngste Klatschhasen-Affäre beim ÖRR-Schlagabtausch lässt sehr tief blicken. Nicht nur in die Strukturen und Motive des von uns allen zwangsfinanzierten Systemfunks, sondern auch in die Psyche der Menschen, die sich für sowas hergeben. Und zwar offensichtlich mit einiger Begeisterung.

Nun mutet es zwar noch relativ harmlos an, einer Einladung zu folgen und dann seinen politischen Präferenzen durch frenetischen Jubel, eisiges Schweigen, fassungsloses Kopfschütteln, hämisches Gelächter oder energische Buhrufe Ausdruck zu verleihen.

Zumindest verglichen mit den zunehmend salonfähiger werdenden Forderungen, die „Feinde unserer Demokratie“ aus dem Diskurs auszuschließen, ihnen keine Bühne zu bieten, sie zu bespitzeln, zu melden, aus der Gesellschaft auszugrenzen und sie beruflich, wirtschaftlich, sozial und psychisch zu sanktionieren, zu isolieren, zu vernichten. Selbst Aufrufe zur Gewalt sind ja mittlerweile durchaus en vogue. Alles im Dienste der guten und gerechten Sache, selbstverständlich. Nicht dass es durch eine zukünftige, grauenhafte „Machtergreifung“ dann zu den aktuellen Szenen kommt. Da muss man auch mal um zwei Ecken denken.

Aber auch der einigermaßen naiv und lächerlich wirkende, einseitige Applaus der vorselektierten Schaulustigen hat bereits nicht zu unterschätzende, sondern sogar gravierende mentale und emotionale Auswirkungen. Im Rampenlicht zu stehen und dabei durch eine größere, offensichtlich feindselig eingestellte, gleichgeschaltete Gruppe gezielt und vorsätzlich ignoriert, ausgelacht oder verhöhnt zu werden, bleibt nicht ohne Folgen.

Egal, wie professionell und gut geschult man ist

Selbst wenn man sich per Metakognition bewusst macht, dass es sich um eine einzige peinliche, armselige Inszenierung handelt.

Der Einfluss solcher (auch passiv-aggressiven) Angriffe bleibt immer bestehen – nicht nur auf den Redner, sondern auch auf die öffentliche Wahrnehmung.

Denn ein auf Anti-Haltung gebürstetes Publikum verstärkt die soziale Bewertungsangst und das immer vorhandene Lampenfieber, vermindert die Fertigkeiten und bindet Kapazitäten.

Die Performance leidet zwangsläufig. Nicht umsonst gibt es den Begriff des Heimvorteils.

Zudem konstruieren wir unser Selbstwertgefühl immer durch soziale Rückmeldungen, das kann sich niemand abtrainieren. Naomi Eisenberger belegte 2013 mit fMRT-Scans, dass sozialer Ausschluss dieselben Hirnareale aktiviert wie körperlicher Schmerz. Öffentliche Abwertung dürfte identische Effekte haben.

Und eigentlich müsste doch jedem halbwegs gesunden Menschen klar sein, dass es furchtbar ist, andere absichtlich in eine solche Situation zu bringen (wenn es sich nicht gerade um ein Fußballspiel oder Ritterturnier, sondern um eine sehr ernste Angelegenheit handelt). Und man selbst an deren Stelle vermutlich locker in Tränen ausbrechen oder sich zumindest schwer verunsichert und hundsmiserabel fühlen würde.

Warum also tut man das trotzdem? Oder gerade deswegen?

Was sind das für Leute, die sich für sowas hergeben und damit kein Problem haben, sondern das sogar noch gut, völlig angemessen, ja geradezu amüsant finden?

Dazu fällt mir folgende Begebenheit ein: Wir schrieben das Jahr 2012. Christian Wulff hatte gerade sein Amt niedergelegt, nachdem ihm eine Nichtigkeit zum Verhängnis geworden und äußerst übel mitgespielt worden war. Ich hatte das alles mit einiger Bestürzung verfolgt. Auch wenn ich mit seiner Partei nichts am Hut hatte, tat mir der Mann aufrichtig leid.

Es nahte der Tag seiner Verabschiedung. Ein Pärchen, mit dem ich über ein gemeinsames Hobby locker befreundet war, verkündete, von heller Vorfreude durchdrungen, sie hätten sich bereits Vuvuzelas zugelegt und würde zu diesem Anlass nach Berlin reisen, um beim Zapfenstreich diesem CDU-Ar… na, Sie wissen schon, kräftig Dampf zu machen und die Veranstaltung zu stören.

Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Die beiden waren nämlich eigentlich total sympathisch und wahnsinnig nett. Also viel netter als ich. Arbeiteten in einer kirchlichen Einrichtung mit Schwerstbehinderten, dazu noch engagiert im Ehrenamt, hilfsbereit, mitfühlend, so richtige Vorbilder.

Und die wollten jetzt eine stundenlange Autofahrt auf sich nehmen, um einem ohnehin schon am Boden liegenden Mann, dem größtes Unrecht zugefügt wurde und der grade zwanzig Kilo abgenommen hatte, in seiner schwersten Stunde noch eins überzubraten? Was hatte der denen getan? Wieso?

„Na, weil er halt ein Ar…. ist!“. Ach so. Sagt wer?

Und egal, wer das sagt, dann ist es voll in Ordnung, ja sogar witzig, sich an seinem Leid und Elend noch genüsslich zu weiden?

Und Ihr glaubt noch, ihr seid die Guten!?

Ich war, gelinde gesprochen, geschockt angesichts so viel Häme, Niedertracht und, sorry, Bösartigkeit.

Dass die zweieinhalb Jahre später zum Teddybär-Willkommens-Werfen fuhren, war dann schon weniger überraschend. Und ich setze größere Beträge, dass die auf jeder gerade laufenden Demo gegen rechts ganz vorne mit dabei sind. Kontakt besteht nicht mehr, naheliegenderweise.

Selbstverständlich sind sich diese Menschen auch keiner Schuld oder ihrer Doppelmoral bewusst, ganz im Gegenteil. Die öffentliche Demütigung und Bloßstellung einer Person durch eine Gruppe als Form der sozialen Kontrolle hat Tradition und ist ein tief in der menschlichen Sozialgeschichte verwurzeltes Phänomen.

Auch wenn sich die Formen der damals schon äußerst beliebten Pranger-Strafe über die Jahrhunderte gewandelt haben, bleibt der grundlegende psychologische Mechanismus derselbe: Die Gruppe legitimiert und rationalisiert ihr mieses und saumäßig primitives Verhalten durch verschiedene kognitive, moralische und soziale Rechtfertigungsprozesse, um das eigene Handeln als statthaft wahrzunehmen.

Der „Sünder“ hat es nicht anders verdient. Es ist sogar ein Heidenspaß, vor allem in der Überzahl.

Und trotzdem ist man dabei noch der bessere Mensch und wertet sich auf.

Schließlich ist man tadellos und moralisch überlegen – sonst stünde man selbst ja da.

Das Belohnungssystem wird hier offenbar in vielerlei Hinsicht aktiviert.

Die womöglich letzte Ahnung, welchem Paradoxon man gerade aufsitzt, weicht dem beglückenden Gefühl, auf der richtigen Seite – im besten Falle – der Geschichte- zu stehen.

Die Selbstreflexion hat Sendeschluss.

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur