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Auf dem letzten Weg

Liebe Leserinnen und Leser,

wer möchte schon die letzten Wochen oder Monate seines Lebens in einem Heim verbringen? Ich nicht, Sie nicht und die meisten unserer Mitbürger auch nicht.

In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Stiftung Patientenschutz gaben jetzt 89 Prozent der Befragten an, im Bedarfsfall zu Hause von Angehörigen oder Pflegekräften versorgt werden zu wollen. Nur 9 Prozent würden eine Pflegeeinrichtung bevorzugen.

Das ist ein Ergebnis, das keine Fragen offen lässt.

Als meine Mutter vor drei Jahren auf die Zielgerade ihres Lebens stürzte, haben wir auch gedacht, wir schaffen das selbst in der Familie. Meine Mutter, damals 92, stürzte in der Küche bei uns zu Hause, wo sie seit einigen Jahren mit ihrem Sohn, dessen Frau und den Enkeln lebte. Und das war harmonisch und genau so, wie es sein sollte. Aber als sie an diesem Morgen in die Küche kam, fiel sie einfach, ohne einen Anlass oder dass sie stolperte, aus Schwäche und stürzte auf den Boden. Wir waren sofort zur Stelle, hoben sie wieder auf und setzten sie auf einen Sessel. Nur eine kleine Platzwunde, keine Schwindelgefühle, ansprechbar, und sie wollte keinen Notarzt. Sie verlangte nach einer Tasse englischen Schwarztees und ihren geliebten Haselnusskeksen, und das Leben lief weiter.

Heute, auch nach Gesprächen mit Freunden, deren Eltern irgendwann gestorben sind, weiß ich, dass in dem Alter so ein Sturz oft der Anfang vom Ende ist, das Einbiegen auf die Ziellinie.

In den Monaten danach folgten weitere „Ereignisse“, sie stürzte nochmal. Wir versuchten, ihr das Leben so leicht zu machen wie möglich, oft verbrachte sie ihre Stunden auf dem Sofa im Wohnzimmer, leider vor dem Fernseher. Aber wir mussten auch viel arbeiten, so beschlossen wir, einen Pflegedienst zu beauftragen. Jeden Morgen kam eine junge Frau, nur Osteuropäerinnen, um meine Mutter zu baden/duschen, sie anzuziehen. Nach einem weiteren ansatzlosen Sturz einige Wochen später, wurde es problematischer. Dieses Mal holte sie ein Krankenwagen ab, brachte sie in die Klinik, auch da noch alles überschaubar. Sieben Tage sollte sie dort bleiben, sie wurde gut behandelt, sehr angenehme Schwestern, wir waren jeden Tag zweimal dort, versorgten sie mit ihren Lieblingszeitungen. Dann gab es berufliche Überschneidungen bei uns. Meine Frau war unterwegs, ich hatte zeitgleich berufliche Termine irgendwo in Deutschland.

Gespräch mit der Stationsärztin. Wäre es möglich, dass meine Mutter zwei Tage länger „zur Beobachtung“ bei ihnen bliebe? Ich sagte der Ärztin die Wahrheit, dass wir Probleme hätten, diese zwei Tage zu überbrücken, und dass sie es im Krankenhaus doch gut habe, und es ja auch nur zwei Tage seien. Sie machten es möglich. Ich bin sicher, viele von Ihnen kennen solche Geschichten. Irgendwann stellen sich solche Fragen für jede Familie mit pflegebedürftigen Angehörigen.

Und so brachten wir Mama irgendwann nach langen Gesprächen mit ihr in einem Pflegeheim unter, fünf Kilometer entfernt von unserem Zuhause. Ihr Lieblingsfotos aufhängen, die Haselnusskekse immer ausreichend vorhanden, jeden Tag, wirklich jeden waren einer oder mehrere oder auch alle von uns bei ihr zu Besuch. Man hat auch ein schlechtes Gewissen, latent, aber das Leben geht für jeden von uns weiter, alle im Hamsterrad.

Ich denke, sie hatte es wirklich gut dort, in diesem Pflegeheim. Die Pflegekräfte kümmerten sich sehr um meine Mutter, ihre Schwägerin, die sie seit 30 Jahren nicht gesehen hatte, reiste aus England an, wo sie lebt. Samt ihrer Töchter, zwei leben in Australien, eine in Spanien. Es gab Kaffee und Obsttörtchen, alte Schwarzweißfotos wurden angeschaut, es wurde viel geweint. Eine Woche später war Waltraud tot, friedlich eingeschlafen im Alter von 93 Jahren. Sie hatte sich so auf dieses Treffen gefreut seit Wochen, es gab ihr Lebensmut. Und wenn das dann vorbei ist, können alte Leute auch loslassen…

Reden wir jetzt hier nicht vom Pflegenotstand, von den Kosten, von der Überlastung des schlecht bezahlten Personals. Das sind alles gewaltige reale Probleme, die wir alle kennen. Und doch weiß ich nicht, wie wir es hätten anders machen sollen. Ich weiß, dass viele von Ihnen den anderen Weg gewählt haben und bis zur letzten Minute die Mama oder den Papa zu Hause gepflegt haben. Mein allergrößter Respekt diesen Menschen, die – meistens die Frau – ihre ganzes eigenes Leben dafür umgestellt haben.

Aber ich weiß, dass es nicht nur die Horrorgeschichten aus der BILD gibt, sondern viele Pflegeeinrichtungen, in denen die alten Menschen nicht nur eine Nummer auf eine Versichertenkarte sind, in denen sie liebevoll und mit großem Einsatz begleitet werden auf ihrem letzten Weg.

So lange das Wetter sonnig war, bin ich immer wieder mal mit einem Rollstuhl mit meiner Mutter, sie warm angezogen natürlich, spazieren gegangen in Krefeld, was nun wirklich nicht der schönste Ort auf der Welt ist. Aber es war Leben da, so viele Leute unterwegs, nicht nur einfach in einem kleinen Zimmer verwahrt. Das ist ganz wichtig. Raus, unter Leute, die Familie dabei.

Was erzähle ich Ihnen alles heute Morgen? Ja, ich würde gern die letzten Stunden meines Lebens im Kreise meiner Familie zu Hause sein. Aber durch die Erfahrungen mit meiner Mutter weiß ist, dass es bei vielen Menschen so objektiv nicht möglich ist.

Von einem sehr nachdenklichen Start in den Sonntag,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur