Eine Würdigung zum 140. Geburtstag von Franz Kafka
von THILO SCHNEIDER
BERLIN – Der Schriftsteller Franz Kafka hätte an einem 3. Juli Geburtstag und an einem 3. Juni Todestag. Der Mann hätte sicher seine helle Freude an der heutigen Politik gehabt. Auch, wenn er posthum wohl Max Brod, seinen Vertrauten und Nachlassverwalter, sicher bis in die Steinzeit verklagt hätte, weil dieser sein Werk gegen seinen Willen posthum veröffentlicht hat. Was sowieso immer ärgerlich ist, da Kafka so der Möglichkeit beraubt war, die Kritiken im Feuilleton darüber zu lesen. Und sich von den Tantiemen dann eine Insel zu kaufen oder Ähnliches.
Es gibt meines Wissens keinen anderen Schriftsteller, der versehentlich ein Adjektiv geschaffen hat: „kafkaesk“. Als kafkaesk bezeichnet man auch heute noch surreale Situationen, die uns Normalsterblichen, die wir nie den Olymp politischer Entscheidungsträger erklimmen werden, völlig fremd und unverständlich und unlogisch erscheinen.
Beispielsweise die Situation, ein paar Millionen Leute einfach ins Land zu lassen, ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Oder Dutzende sinnlose Verbote zu erlassen, um die imaginäre Gefahr eine „Klimakatastrophe“ abzuwenden, wenn das Geld dafür doch besser in Dämme und Katastrophenschutz investiert wäre. All das und noch vieles mehr erscheint uns heute einfach nur noch kafkaesk.
Wer war er, der Franz Kafka?
Legionen von Germanisten und Historikern haben versucht, sich der Person hinter ihren Geschichten zu nähern und bis heute, meines Wissens, hat er kein Einziger wirklich geschafft. Kafka ist ebenso nebulös und verschwommen wie seine Werke. Geboren wurde er in eine jüdische Kaufmannsfamilie, sein Vater, aus kleinen Verhältnissen, schaffte es, das angeheiratete Vermögen seiner Mutter zu mehren, schlecht ging es dem jungen Kafka also nicht.
Die Familie lebte in Prag und sprach Deutsch, aber natürlich auch Tschechisch. Zwei Brüder verlor Franz Kafka im Kindesalter, seine drei Schwestern überlebten die Konzentrationslager nicht. Kafka selbst fühlte sich Zeit seines Lebens weder als Deutscher noch als Tscheche. Er hätte sich wohl selbst nonchalant als „Prager“ bezeichnet, hätte man ihn gefragt.
Was er gerne gemacht hat, war, die Verwandtschaft mütterlicherseits in seine Geschichten und Erzählungen einzubauen oder sie als Blaupause für seine Charaktere zu nutzen. Der intelligente junge Mann litt unter Prüfungsängsten, die Drohungen seines Vaters schüchterten ihn immer wieder ein, die überfüllten Klassen sorgten wohl für eine ausgewachsene Sozialphobie. Mit 16 war Kafka beinharter Kommunist, außerdem begeisterter Schwimmer.
Er studierte an der Universität Prag zunächst Chemie, fand das dann aber doof, studierte dann Jura, was er noch doofer fand und schließlich versuchte er es mit Germanistik und Kunstgeschichte. Sein unsteter Geist langweilte sich schnell und im Gegensatz zu seinen akribisch geschilderten Erzählungen legte er in seinen Studien wohl nicht so sehr Wert auf Details.
Schlussendlich blieb er bei Jura und arbeitete 1907 bei der Generali-Versicherung, ein Jahr später bei einer Gesellschaft mit dem etwas sperrigen Namen „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“. Er tat es, aber er tat es nicht gern, sondern weil er eben Rechnungen zu bezahlen hatte. Er schrieb Unfallverhütungsvorschriften und kümmerte sich um die Versicherungstechnik. Nebenbei ging er auf Arbeiterdemonstrationen.
Es war eine ziemlich dröge Arbeit. Kafka schrieb Dokumentationen, Gebrauchsanweisungen, Leitfäden, Reden und Rechenschaftsberichte. Er hasste es, fühlte sich unterfordert und sehnte das Ende seines Arbeitstages herbei. Nichtsdestotrotz wurde er vier Mal befördert, man schien mit seiner Leistung zufrieden.
Am ersten Weltkrieg nahm Kafka nicht teil. Seine Gesellschaft hatte ihn als „unersetzliche Fachkraft“ reklamiert, weswegen er sich auch um die Rehabilitation und Umschulung von Kriegsversehrten kümmern konnte. Genutzt hat es ihm später nichts, als der latente Antisemitismus in einen offenen Antisemitismus umschlug. Er, der Jude, Kommunist und Drückeberger und – mutmaßlich – Homosexuelle. Kafka war alles, was seine Zeitgenossen verachteten. Ironischerweise identifizierte sich Kafka so gut wie gar nicht mit seinem Judentum oder dem Zionismus. Er war der Prager Franz Kafka, Versicherungsangestellter, sonst nichts.
1917 erlitt er einen Blutsturz, der das Symptom einer Lungentuberkulose war. Kaum hatte sich Kafka erholt, fing er sich die damals grassierende „Spanische Grippe“ ein und mit ihr eine Lungenentzündung. Kafka versuchte, auf zahlreichen Kuren Linderung zu finden und reiste in den 20er Jahren durch halb Europa. Schließlich wurde ihm 1924 eine Kehlkopftuberkulose diagnostiziert, an der er letztlich 1824 im Alter von nur 40 Jahren starb.
War er ein Genie? Vielleicht. War er ein ganz Großer der deutschen Literatur? Das war er gewiss. Inspirierte er Tausende von Autoren aus und von allen Genres? Definitiv.
Es ist müßig, darüber nachzudenken, was Kafka literarisch noch alles hätte leisten können, spätestens mit dem Einmarsch der Nazis in die Tschechei wäre damit Schluss gewesen. Seine Bücher wurden wie die vieler anderer Autoren verbrannt, einige andere hat er selbst vernichtet, weil er sie zu schlecht fand. Selbst nach dem Ende des Dritten Reiches war Kafka in der kommunistischen Tschechoslowakei kein Ruhm beschieden – den Kommunisten dort galt er als „dekadent“.
Ich gebe zu, ich hätte Franz Kafka gerne gekannt. Ich bin sicher, wir hätten uns nicht nur auf fachlicher Ebene, sondern auch auf charakterlich gut verstanden und die gleiche Art von Humor geteilt. Kafka war ein Suchender, einer, der wissen wollte, wie die Welt funktioniert. Ob er sie wohl zum Schluss verstanden hat?
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Klaus Kelle, Chefredakteur