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Ein Bärendienst im Kampf gegen Antisemitismus

Gil Ofarim gesteht, alles erfunden zu haben – ein Prozess nur mit Gewinnern?

Christian Kott
Foto: pixabay/Ri_Ya | Der Magen David im Deutschen „Judenstern“ – bei Ofarim angeblich Stein des Anstoßes. FOTO: pixabay

Wer das Verfahren gegen Gil Ofarim vor dem Landgericht Leipzig verfolgt hat, der hatte sich von Anfang an über Einiges zu wundern: Warum wurde die Anklage beim Landgericht erhoben, nicht vor dem Strafrichter beim Amtsgericht, wo so etwas hingehört hätte? Was haben sich die vier Verteidiger, die Ofarim sich leistete bei der improvisiert wirkenden Verteidigungsstrategie gedacht, bei der nach jeder Zeugenvernehmung und nach der Befragung des Gutachters auch für Außenstehende immer deutlicher wurde, was für die Prozessbeteiligten schon vorher klar gewesen sein musste: Die Anklage trifft im Wesentlichen zu, und das wird auch bewiesen werden können.

Heute nun die Notbremse der Verteidigung: Nach einem Rechtsgespräch (das ist ein nichtöffentliches Gespräch, an dem neben den Richtern nur Staatsanwalt, Nebenklagevertreter und Verteidiger teilnehmen) gesteht Gil Ofarim, die ganze Geschichte nur erfunden zu haben und entschuldigt sich bei dem Nebenkläger, dem Hotelmanager, der durch seine Falschaussage des Antisemitismus bezichtigt worden war.

Einstellung nur unter Auflage

Ohne, dass es zu einem formellen „Deal“ gekommen sein soll, wird das Verfahren daraufhin gem. § 153a StPO eingestellt. § 153 a StPO bedeutet, dass die Einstellung nicht ganz folgenlos bleibt, sondern gegen eine sogenannte Auflage erfolgt: Ofarim muss insgesamt 10.000 Euro an zwei gemeinnützige Einrichtungen zahlen, bezeichnenderweise je 5.000 Euro an die Jüdische Gemeinde Leipzig und an den Trägerverein des Hauses der Wannseekonferenz.

Außerdem wurde erklärt, dass sich Nebenkläger und Ofarim über einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich geeinigt haben. Auch wenn die Einzelheiten hierzu nicht bekanntgemacht wurden, dürfte Ofarim dem Nebenkläger neben der öffentlichen Entschuldigung auch ein angemessenes Schmerzensgeld zugesichert haben. Seine sicher nicht geringen Anwaltskosten wird Ofarim übrigens auch selbst übernehmen müssen.

Munition für Antisemiten

Das Verfahren ist abgeschlossen, der Sachverhalt noch eindeutiger aufgeklärt, als es ein Urteil vermocht hätte, der Hotelmanager endgültig rehabilitiert und entschädigt, Ofarim haarscharf an einer empfindlichen Verurteilung vorbeigeschrammt – auf den ersten Blick wirkt es, als gäbe es nur Gewinner in diesem mehraktigen Theaterstück.

Dieser Schein trügt. Verloren hat mit diesem Verfahren zumindest einmal das Engagement gegen Antisemitismus.

Dass der Prozess ausgerechnet in eine Zeit hineinfällt, in der offener Judenhass nicht nur von zigtausenden Demonstranten mit Parolen wie „From the river to the sea“ ohne sich zu schämen herausgegrölt wird und öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen den Unterschied zwischen Geiseln und Gefangenen aus ideologischen Gründen nicht erkennen wollen, konnte Ofarim zwar an jenem denkwürdigen Abend in der Lobby eines Leipziger Hotels nicht wissen, aber es ist nun mal so: Jedes zukünftige Opfer antisemitischer Diskriminierung, verbaler oder körperlicher Gewalt wird sich zukünftig von den geistigen Tätern die Frage anhören dürfen, ob man mal wieder ein bisschen Ofarim sei? Gerade diejenigen, die mit ihrem vor dem 7. Oktober nur verschämt in „eigenen Kreisen“ geäußerten Judenhass jetzt offen durch soziale Medien hetzen, sind genau diejenigen, die Ofarims Beispiel dankbar aufnehmen und lange im Gedächtnis behalten werden.

Die Verteidigung: ein jämmerliches Bild

Verloren hat auch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft, die in diesem Verfahren ein jammervolles Bild abgegeben hat. Denn auch vorgerichtlich im Ermittlungsverfahren war sehr deutlich, dass es in diesem Prozess für die Verteidigung nicht um den sprichwörtlichen Blumentopf geht, den man vielleicht gewinnen kann, sondern um Schadensbegrenzung für den eigenen Mandanten. Und die betreibt man besser nicht, indem man Zeugen und Gutachter ohne konkreten Ansatz mit an Lächerlichkeit grenzende Fragen zu provozieren versucht, sondern indem man vor der Anklageerhebung zum Telefon greift, den Staatsanwalt anruft und einen Täter-Opfer-Ausgleich anregt, für den man nämlich gar kein Gerichtsverfahren gebraucht hätte.

Ob für diese vertane Chance Ofarim oder seine Verteidiger verantwortlich sind, das werden wir wohl nicht erfahren, aber Sie jedenfalls können zu den Gewinnern gehören, indem Sie sich als Fazit dieses Verfahrens merken: Wenn man bei etwas nachweislich erwischt wurde, dann ist es beinahe immer besser, kleinere Brötchen zu backen, statt mit vier hochbezahlten Verteidigern mit dem Kopf Wände einzurennen.

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Klaus Kelle, Chefredakteur