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Kein Luftballon der Welt kann die EU retten, wie sie jetzt ist

von FELIX MAXIMILIAN LEIDECKER

Es ist korrekt, dass Europa ein Imageproblem hat. Eigentlich ist die Idee des ‚Pulse of Europe‘, der gestern auch in Mainz stattfand, daher grundsätzlich nicht falsch. Ein starkes Europa, welches an einem Strang zieht, ist global unabdingbar. Ich befürchte aber, dass die Umsetzung mehr schadet, als sie nützt. Es erinnert mich an folgende fiktionale Begebenheit:

Ein Patient liegt auf der Intensivstation. Der Arzt holt die Familie zusammen, blickt ihnen tief in die Augen und sagt: „Es sieht nicht wirklich gut aus für Ihren Großvater. Wenn wir ihn retten wollen, müssen wir jetzt ganz ganz dringend einige schmerzhafte Therapien angehen und eines muss Ihnen allen klar sein: Er muss sein Leben radikal ändern- nur dann hat er eine Chance!“ Und die Familie fängt daraufhin an zu tanzen, hüpft durch den Raum, bläst Luftballons auf, hält sich die Ohren zu und singt: „Trallalalala! Trallalalala! Dem Opa geht es soooooo gut! Trallalalala!“

Das drängendste Problem Europas ist die EU. Sie hat bisher keine Antworten auf die Fragen, welche die Menschen in Europa wirklich beschäftigen: Migration, Sicherheit, Arbeitslosigkeit, explizit Jugendarbeitslosigkeit, Inflation, Staatsverschuldung. Ob irgendwelche Handytarife harmonisiert werden, welche Neuigkeiten es beim Erasmus-Programm gibt und dass jetzt bald jeder 18-Jährige ein Interrail-Ticket bekommen soll, ist der absoluten Mehrheit der Menschen in Europa gelinde gesagt scheissegal, denn diese Wohlstands- und Dekadenzfragen betreffen sie nicht.

Bill Clintons Wahlkampf-Team hatte sich damals selbstkritisch in jedem einzelnen Zimmer ein Schild aufgehängt: „It’s the economy, stupid! It’s all about jobs, jobs, jobs!“. Das ist heute noch uneingeschränkt richtig.

Wenn es der EU nicht gelingt, diese Probleme zu lösen, wird sie kein Luftballon der Welt retten können. Im Gegenteil: Wenn die Minderheit der Europäisierungsgewinner-Besserverdiener, Erasmus-Studenten und urbane Akademiker Europa unkritisch abfeiert, wird es eher das Gegenteil auslösen, befürchte ich. Europa zerfällt wegen der ökonomischen Probleme, nicht wegen der Populisten. Letztere sind nur die Kausalfolge. Und deshalb wäre es weitaus sinniger, dass die Menschen für eine Reform der EU auf die Straße gingen, als für ein ‚Weiter so!‘. Das wäre der richtige Schritt für ein starkes, europäisches Bekenntnis!

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Klaus Kelle, Chefredakteur