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Vom antifaschistischen Widerstand am Kinderkarussell

von FELIX HONEKAMP

Als Kind fand ich den Satz durchaus amüsant, der mit der vielfachen Spiegelmöglichkeit einer Zahl kokettierte, zweistellig, zwölf weniger als hundert. Kann man vorwärts lesen, rückwärts oder auch spiegelverkehrt: Es bleibt immer die gleiche Zahl … die aber nun reichlich in Ungnade gefallen ist. Dabei kann die Zahl eigentlich nicht viel dafür: 1988 ist eigentlich ein recht harmloses Jahr der politischen Geschichte. Erfreulich, dass die Sowjetunion damals ihren Rückzug aus Afghanistan begann. In Deutschland war es allerdings auch das Jahr der Barschel-Affäre. Im gleichen Jahr wird an der deutschen Börse der DAX eingeführt, und Papst Johannes Paul II. ernennt Joachim Kardinal Meisner zum Erzbischof von Köln. Auch das Jahr 1888 war vergleichsweise ereignislos – was natürlich auch immer im Auge des Betrachters liegt. Alles aber in jedem Fall keine so geschichtsträchtigen Jahre wie – aus jüngerer deutscher Sicht – 1933, 1939 oder 1945.

Warum also hat es diese zweistellige Zahl zwischen 87 und 89 so schwer: Man kann es sich nicht ausdenken, aber es liegt nicht an der Zahl sondern an ihrem Pendant im Alphabet. Der 8. Buchstabe ist dort das H, uns setzt man zwei H hintereinander, dann hat man was? Nein, nicht das Auto-Kennzeichen der Hansestadt Hamburg, das glauben heute nur noch politische Simpel. Das HH entspricht der Kurzform eines im dritten Reich in Deutschland leider gängigen Grußes zur Verherrlichung des Diktators Adolf Hitler. Und da man in Deutschland diesen Gruß nicht straflos aussprechen darf, sind rechte Hohlköpfe, die immerhin das Alphabet und das Zählen bis zehn beherrschen auf diese Abkürzung gekommen: Kein „Heil“-Ruf, nicht mal HH, sondern 88!

Soweit so unangenehm, aber was nun passiert, kann man sich nicht ausdenken: Weil es diese Rechtsidioten gibt, wird fortan jeder, der die Zahl 88 – unnötig – verwendet entweder unter den Verdacht des Rechtsextremismus gestellt oder ihm wird ein zu leichtsinniger Umgang mit der politischen Zahl unterstellt. Bereits 2014 hat es die Firma Ariel erwischt: Zur WM bedruckte sie Waschmittelkartons mit einem Trikot mit der Nummer „88“. Damit sollte die Anzahl der möglichen Waschladungen beschrieben sein, die man einem solchen Karton entnehmen kann. Schon damals gab es aber einen kleinen Sturm der Entrüstung, weil man sich seitens des Herstellers dieses Themas zu unbedarft angenähert habe. Vor kurzem war es die Firma Edeka, die in ihren Weihnachtsspots Autokennzeichen nicht nur mit der 88 sondern auch noch mit anderen angeblichen Nazi-Jargon-Formeln angereichert habe. Man kann es sich geradezu vorstellen: Die agilen jungen Menschen einer Werbeagentur hecken mit dem gediegenen Einzelhändler eine Strategie zur Unterwanderung Deutschlands mit rechtem Gedankengut aus. Wenn es den Protagonisten der daraus resultierenden Shitstorms nicht so ernst damit wäre, man müsste laut lachen.

Und jetzt der Kirmeswagen-Besitzer in Eimsbüttel, der ein kleines Auto mit dem Kennzeichen „HH – 88“ seit Jahren im Kreis fahren lässt. Der Mann sieht sich zu recht überrascht durch den Aufstand der ihm da begegnet, und auch hier könnte man wieder lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Denn erstens gibt es in Deutschland ganz offenbar tatsächlich Menschen, denen solche Kennzeichen auffallen (wie tief muss man in der Neonazi-Ideologie eigentlich verwurzelt sein, dass man … aber das ist wieder was anderes). Und zweitens fordert nun tatsächlich Peter Gutzeit, Mitglied Linken-Fraktion in Eimsbüttel, dem Karussell-Betreiber zu kündigen. Spätestens hier ist es mit dem Spaß vorbei; hier geht es um die berufliche Existenz eines Menschen.

Aber das Thema ist größer: Es geht nicht nur um die Existenz eines Kirmesbudenbetreibers. Es geht um die Frage, inwieweit wir als Gesellschaft dieses Spiel verspäteter Nazi-Widerstandskämpfer noch mitmachen wollen, die überall rechtes Gedankengut wittern und Verdacht schöpfen selbst dort, wo ihm der gesunde Menschenverstand nur den Vogel zeigen würde? Es geht nicht um Autokennzeichen, es geht nicht um Werbung, es geht darum, wie frei man sich in diesem Land noch äußern darf, ohne sich selbst auf möglicherweise kritische Nebeneffekte überprüft zu haben. Wer sich von den Peter Gutzeits dieser Welt am Nasenring durch die Manege ziehen lässt, kann heute keine 88 mehr schreiben und wird sich morgen überlegen, ob er nicht generell besser den Mund hält. Lassen wir es nicht so weit kommen!

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Klaus Kelle, Chefredakteur