Wie Schule demotivieren kann. Ein Praxisbeispiel…
Eigentlich war Musik gar nicht ihr Fach gewesen. Dass sie auf ein Gymnasium mit musikalischem Schwerpunkt kam, war eher der Unbeugsamkeit ihrer Eltern geschuldet. Diese hatten sie nämlich, als die Grundschule während der Coronamaßnahmen plötzlich wieder von Fern- auf Präsenzunterricht wechselte, weder zum Tragen von Masken noch zum regelmäßigen invasiven Testen gezwungen.
Von da ab war der Weg vorgezeichnet: Natürlich ließ die Schule unter solchen Umständen eine Teilnahme am Unterricht nicht zu. Natürlich behauptete die Schule, hier würde der Schulpflicht nicht entsprochen. Natürlich behaupteten die Eltern, die daraufhin mit Zwangs- und Bußgeldandrohungen im 5-stelligen Bereich konfrontiert wurden, dass sie ihre Kinder zum Schulgang anhielten, ihnen aber dort der Zutritt verweigert wurde. Natürlich quittierte die Schule ein solches Verhalten, indem sie jede nicht im Unterricht erbrachte Leistung der Schülerin mit Ungenügend (6) benotete. Natürlich erhielt die Schülerin daraufhin, Ende der vierten Klasse, keine Empfehlung für ein Gymnasium, auch wenn der Lehrer, der in stetem Austausch mit ihr und den Eltern stand, diese unter der Hand nachdrücklich aussprach. Natürlich musste sie darum einen Qualifikationstest ablegen, den sie mit Bravour bestand. Und diesen absolvierte sie zufällig gerade auf jenem Gymnasium mit musikalischem Schwerpunkt, auf dem sie sich dann einschrieb.
Ihr Wunsch war es, im dortigen naturwissenschaftlichen Zweig zu beginnen und so war der Schreck recht groß, als es hieß, sie habe einen Platz in der Bläserklasse. Aber nach einigem Hin- und Her machte sie sich mit dem Gedanken vertraut, eine Klarinette wäre vielleicht gar nicht so schlecht. Doch als die Instrumente verteilt wurden, erhielt sie eine Trompete.
Vielleicht war das nicht der glücklichste Start, doch als sie bemerkte, dass sie die einzige ihrer Geschwister war, die auf Anhieb Töne aus dem Instrument hervorbrachte, war sie schon ein wenig stolz. Und als sie dann beim Üben von ihrer Schwester unterbrochen wurde und verärgert einen lauten Ton aus dem neu erworbenen Instrument in ihre Richtung abgab und die Schwester daraufhin erschrocken zusammenfuhr, war das Eis gebrochen. Seitdem sind sie beste Freunde: die Trompete und unsere frischgebackene Gymnasiastin.
Schnell fand sie Freunde im neuen Klassenverband und die Begeisterung für ihr Instrument stieg zusehend.
Für kaum etwas anderes opfert sie bereitwillig derart viel Freizeit, wie zum Üben auf der Trompete und schon Weihnachten gab es das erste schulinterne Konzert, wo wir Eltern staunten, was die Kinder in den wenigen Monaten bereits gelernt hatten. Mehrere Stunden Unterricht in der Woche, engagierte und qualifizierte Lehrer sowie ein freundschaftlich verbundener Klassenverband, der sich gegenseitig anspornt, verfehlten ihre Wirkung nicht. Aus unserer an Musik bis dato reichlich desinteressierten Tochter wurde eine hoch motivierte, begeisterte kleine Trompeterin.
Nun, wohl aufgrund der allgemeinen Einschätzung des Leistungsniveaus und weil die Schule schon des Öfteren mit Erfolg dabei war, bewarb sich die Schule in diesem Jahr mit ihren beiden Bläserklassen, fünftes und sechstes. Schuljahr, in München zum Bläserklassen-Wettbewerb des Bayerischen Blasmusikverbandes. Dieser bewirbt die Veranstaltung im Internet mit den Worten:
Für den Auftritt wurden drei ansprechende, anspruchsvolle Stücke ausgewählt, und die Kinder übten über viele Wochen die neuen und teils schwierigen Passagen, sowie das Spielen in unterschiedlichen Lautstärken, ohne dabei die Oktave zu wechseln. Jede freie Minute, ob nach der Schule, am Wochenende oder in den Ferien griff unsere Tochter zum Instrument, um ihre Stücke zu üben und ihre Technik zu verbessern.
Mit wie viel Freude und Engagement die Schüler bei der Sache waren, konnten wir als Eltern erleben, als die Mädchen spontan auf dem Schulhof, aus purer Freude an den Stücken, den Instrumenten und dem Zusammenhalt der Klasse, gemeinsam, nach einem Konzert im Rahmen der Schule, eine spontane Zugabe gegeben hatten. Die Begeisterung, mit der sie bei der Sache waren, vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen des widrigen Erlebnisses, gehört vermutlich zu den unbeabsichtigten, aber doch so häufigen Wendungen, wo Ungerechtigkeit nicht zwangsweise zu Frust und Hinterfragen der eigenen Position führt, sondern zu stärkerem Zusammenhalt.
Doch was war geschehen? Die Mädel hatten sich wie schon beschrieben auf den Blasmusik-Wettbewerb vorbereitet und da es sich um ein bayerisches Gymnasium handelt lag zudem nahe, die Blasmusik traditionell in der Landestracht aufzuführen. Wir hatten Glück, denn nicht jeder staffiert seine Kinder mit regelmäßig mitwachsender Mode in jeder Art aus, doch die Oma hatte noch ein wunderbares, von einer Schneiderin extra für sie angefertigtes Dirndl im Schrank, dass der Enkelin wie auf den Leib geschneidert passte.
Um es kurz zu machen, beide Schulklassen wurden von der Jury auf den letzten Platz ihrer Jahrgangsstufe gewählt
Die fünfte Klasse auf den neunten und die sechste Klasse auf den elften Platz. Natürlich soll nun kein Vergleich mit anderen Darbietungen stattfinden, so etwas verbietet sich, doch gibt es Aufzeichnungen, die belegen, dass beide Klassen nicht gepatzt hatten. Sie haben eine nicht nur von Eltern als ordentlich befundene Leistung abgegeben. Daran, wie im oben zitierten Spruch der Wettbewerbshomepage geschildert, kann es nicht gelegen haben. Doch woran dann?
Dass hier auf dem Rücken von zehn- bis elfjährigen Mädchen Politik ausgetragen wurde, dürfte eigentlich nicht der Fall gewesen sein, denn das wäre nicht nur unanständig, so etwas stünde gefährlich nahe am Kindesmissbrauch.
Allerdings muss man so oder so die Frage stellen, warum es der Veranstalter zuließ, dass sämtliche niedrig bewerteten Gruppen öffentlich zur Schau gestellt wurden, statt wie es oft üblich ist, nur die ersten drei oder vier Gewinner vor aller Augen zu ehren. Schon im Vorfeld der Auszeichnung machte die Erwähnung des jeweils letzten Platzes für die Schule, die mit zwei Klassen angetreten war den Eindruck, man wolle hier jemanden bloßstellen. Die Frage also steht im Raum: Wurde hier der als zu traditionell empfundene Eindruck einer katholischen Mädchenschule bewertet? Transparenz über die Bewertungskriterien und die Punktevergabe durch die Jury, die mir als Vater nicht vorliegt, könnte hier Klarheit schaffen.
Da aber eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten ist und sich kluge Köpfe zusammenfinden werden, eine unangreifbare Rechtfertigung der Bewertung abzugeben, sobald man sich dazu gezwungen sieht, wäre die vernünftigste Reaktion wohl ein zukünftiges Fernbleiben.
Wo Kinder schon in frühen Jahren lernen, dass nicht die Leistung zählt, sondern undurchsichtige Seilschaften über Erfolg und Misserfolg entscheiden, da sind wir im deutschen, oder hier besser gesagt im bayerischen Schulsystem.
Und wenn man nicht ganz so still verschwinden will, gäbe es vielleicht auch noch die Möglichkeit im nächsten Jahr den Auftritt mit dem Stück „Humpa like a Clown“ der finnischen Band „Eläkeläiset“ zu absolvieren und dann, ohne eine Siegerehrung abzuwarten, den Ort der Schande zu verlassen.
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