50 Jahre Geisterjäger John Sinclair – Sein Autor war noch nie in London
von CHRISTOPH DRIESSEN
BERGISCH GLADBACH – Die alte Standuhr neben Helmut Rellergerds Schreibtisch zeigt rund um die Uhr Punkt Zwölf an – Mitternacht, Geisterstunde! Es ist die passende Inspiration für den Erfinder von Geisterjäger John Sinclair. Dessen erstes Abenteuer, «Die Nacht des Hexers», erschien bereits am 13. Juli 1973 – am Donnerstag ist das 50 Jahre her.
Die Gesamtauflage der mittlerweile mehr als 2300 Romanhefte wird vom Kölner Verlag Bastei Lübbe auf weit über 250 Millionen geschätzt. «Der Zombie-Zug», «Der Alpenteufel», «Der Killerzwerg» sind typische Titel der Gruselabenteuer, die Rellergerd (78) unter dem Pseudonym Jason Dark verfasst.
«Alles im Kopf»
Der dreifache Opa wohnt mit seiner Frau Roswitha in einem Einfamilienhaus in Refrath, einem Ortsteil von Bergisch Gladbach bei Köln. Bergisch Gladbach ist schon sehr ruhig, aber Refrath ist praktisch ereignisfrei. Wenn man ihn danach fragt, wo er in dieser ungruseligen Umgebung seine ganzen Ideen hernimmt, tippt er sich nur an die Schläfe: «Alles im Kopf. Ich kann ja auch sonst nichts. Ich fahr noch nicht mal Auto.»
Die Einfälle kommen einfach so. Es kann sein, dass er plötzlich zu seiner Frau sagt: «Stell dir mal vor, ich dreh mich morgens zu dir um, und du bist ein Skelett.» Seine Frau ist dann gar nicht amused. Sie liest seine Romane auch nicht. Er selbst hat sich schon als Kind Geschichten ausgedacht. Später wollte er einen Beruf, «bei dem ich mich nicht dreckig mache».
Einige Inspirationen holt er sich aus Sachbüchern und Dokumentationen auf 3Sat und Arte. Und dann ist da die Kirchenzeitung des Erzbistums Köln, die Rellergerd abonniert hat. Da steht durchaus mal was drin, was er ausspinnen kann. Auf seinem Schreibtisch liegen einige ausgeschnittene Artikel mit Überschriften wie: «Allerseelen und das Fegefeuer» und «Schutzengel brauchen keine Flügel».
Er war noch nie in London
Unter einem «Sinclair» versteht Rellergerd, dass die Geschichten «ein bisschen lächelnd und nicht zu brutal» daherkommen. Schließlich habe er «60 Prozent weibliche Leser». Ein Kuriosum ist, dass sämtliche Romane in London spielen, der Autor selbst aber noch nie dort gewesen ist. Das englische Frühstück, sagt er, sei nicht so seine Sache. Und außerdem seien die Hotels ziemlich teuer.
Noch immer erscheinen jeden Monat vier neue Sinclair-Abenteuer. Aber die sind nicht mehr alle von ihm. «Meine Frau hat gesagt: ‚Du machst jetzt weniger‘.» Seitdem springen Co-Autoren ein.
Rellergerd tippt seine Geschichten auf einer mechanischen Schreibmaschine. Die ursprüngliche im Olivgrün von 70er-Jahre-Badezimmereinrichtungen ist allerdings bei einer Ausstellung in Bonn verloren gegangen. Nun hat er eine graue. Mit dem Computer kommt er nicht zurecht, sagt er.
Jonathan Meese ist ein Fan
Bezeichnungen wie «Trivial-Autor» und «König des Groschenromans» stören ihn nicht. Aber es sei ein Missverständnis zu glauben, dass John Sinclair keine gebildeten Leser habe – unter den Fans seien Ärzte, Professoren – und sogar der berühmte Künstler Jonathan Meese. Der hat ihm vor einiger Zeit bei einem Besuch einen von ihm gestalteten Stoff-Hai mitgebracht. Zum Dank lässt Rellergerd den Künstler in einem neuen John-Sinclair-Fall auftreten, «Bilder des Grauens». In der Geschichte hat Meese eine Gastausstellung in London, und dabei kommt es zu ungewöhnlichen Vorkommnissen. Erscheinungstermin im September.
Rellergerd selbst hat keine Angst, nachts auf den Speicher zu gehen – er glaubt nicht an Gespenster. Horror war für ihn eher die verpasste Meisterschaft des BVB – der gebürtige Dortmunder ist großer Fan. Wovor er Angst hat? «So’n bisschen vorm Tod», räumt er ein. «Ich komm‘ jetzt langsam in das Alter. Fast reif für ’n Sarg.» Aber das Leben macht ihm einfach zu viel Spaß, als dass er bald abtreten will. Und in seinem Keller-Archiv ist noch viel Platz für neue John-Sinclair-Hefte.
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Klaus Kelle, Chefredakteur