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Ein Stück DDR retten? Von Simone, Vroni und den guten alten Zeiten

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Hans Modrow ist tot. Der letzte Vorsitzende des DDR-Ministerrats starb jetzt im Alter von 95 Jahren. Bis zu seinem Lebensende war er ein strammer Sozialist, was den Genossen Gysi und Bartsch verständlicherweise gefällt, die heute einen sehr freundlichen Nachruf veröffentlicht haben.

«Unsere Partei verliert eine bedeutende Persönlichkeit», schreiben sie, und ja, so viele gibt es da in der Nomenklatura von einst und ihrer Nachfolgepartei auch gar nicht. Hans Modrow wollte in seiner fünfmonatigen Amtszeit, wie er sagte, ein „Stück DDR retten“. Sie wissen, dass dieses Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt war. Aber natürlich höre und lese ich immer wieder von Freunden aus Ostdeutschland, dass es dieses Denken gibt, dass diese Sehnsucht nach „früher“ wächst. Nicht nach dem Sozialismus, nicht nach Trabbi und Soljanka, wenn man in Thüringen irgendwo im BBQ-Grill sitzt. Aber nach der eigenen Vergangenheit.

Ich meine, wir alle neigen dazu, die Vergangenheit ein Stück weit zu verklären – im privaten Bereich, in der Schulzeit, in der lange vergangenen gescheitertetn Ehe, mit Gartenfesten bei den später total zerstrittenen Nachbarn, ebenso wie in den großen Linien. „Es war nicht alles schlecht damals“, erzählt dann die Oma oder der Onkel beim 70. Geburtstag in einer launigen Tischrede. Und das stimmt ja auch.

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„Wir konnten damals als Frauen nachts gefahrlos durch den Park nach Hause gehen“, wird dann von 1938 erzählt, und Onkel Hans holt noch ein Fläschchen Kräuterlikör und schenkt der Runde am Tisch ein Schnäpschen ein. „Ich war beim BDM, aber wir waren doch keine Nazis“, wirft Tante Lieselotte mit kräftiger Stimme ein. Dabei setzt sie den empörtesten Gesichtsausdruck auf, zu dem sie fähig ist. Es ging doch nur um Freizeitvergnügen, die schönen Kleidchen, das Gemeinschaftserlebnis, Zöpfe flechten, Nachtspaziergänge, Lagerfeuerromantik. All diese Dinge, die sich jedes Gesellschaftssystem auch zu nutze macht, um die Stimmung im Volk zu heben und besonders das Denken und Fühlen der jungen Generation zu beeinflussen.

So war es im „Dritten Reich“, so war es in der DDR, die im September 1978 an allen Oberschulen das Pflichtfach „Wehrkunde“ einführte. Und so war es – privat organisiert – auch in Westdeutschland, wo heute noch lustige Zeltlager-Fotos von Politikern in kurzen Hosen kursieren, die aber mit Rechtsradikalismus natürlich ganz sicher nicht zu tun haben.

Irgendwer wird mich nacher in irgendeinem Netzwerk wieder anpöbeln, das ist Alltag bei solchen Themen. Der Kelle versteht eben die Ossis nicht, wie auch den armen Putin, der total eingekreist ist in seinem größten Land der Erde.

Aber es geht mir überhaupt nicht um Schuldzuweisungen, es geht um die Mechanismen.

Wir hatten in Westdeutschland keine „Wehrkunde“ in der Schule, aber bei Nachwanderungen mit der evangelischen Jugend, wo ich als 14-jähriger begeistert dabei war, ohne Sturmgewehr aber mit der Jutta. Und Zeltlager der Jungen Union waren auch keine Bootcamps, sondern eher zum Biertrinken, Nationalhymne singen und – sagen wir – zur Körperertüchtigung. Aber Staaten, gesellschaftliche Gruppen, Parteien setzen immer bei den Kindern an, und sie setzen immer aufs unpolitische Gemeinschaftserlebnis, auf Lagerfeuer-Romantik. Und dagegen ist erstmal auch überhaupt nichts zu sagen.

Als ich vorhin die Modrow-Meldung las, fiel mir Simone ein, die wohl beste Büroleiterin, die ich jemals hatte.

Sie organisierte mein kreatives Chaos, als ich Chefredakteur beim Berliner Rundfunk nach der Wende wurde. Und sie stammt aus Ostdeutschland.

Irgendwann saßen wir mal zusammen und plauderten bei einer Tasse Kaffee, wie es damals war vor dem Mauerfall hüben und drüben. Und beim Thema Sozialismus waren wir uns zu 100% einig. Der Sozialismus und seine Endstufe sind ein Dreckssystem, das der Natur des Menschen total widerspricht und noch niemals irgendwo funktioniert hat. Da waren wir beide uns einig. Und man fragt sich unwillkürlich, was für Substanzen Menschen zu sich nehmen, die heute noch rote Fahnen schwenken und meinen, das Leben der Menschen werde paradiesisch, wenn man den denen, die was haben, ihre Kohle wegnimmt, um sie großzügig zu verteilen, und wenn es nicht reicht, druckt man halt Papierscheine neu – was, ich weiß das, auch in kapitalistischen Staaten und der EU immer moderner wird.

Aber es funktioniert halt so nicht – in der DDR nicht und auch nicht in Venezuela

Niemals wolle sie die DDR zurückhaben, sagte Simone mir damals, aber es fehle ihr jetzt doch etwas. Der Zusammenhalt mit den Freunden und Nachbarn lasse nach, in den Regalen der Supermärkte seien die alten DDR-Marken verschwunden und die Spreewaldgurken in den hinteren Reihen versteckt. Und, das Schlimmste: Im Radio werde ihre alte Musik nicht mehr gespielt. Keine Puhdys, kein Karat, keine Vroni Fischer singt irgendwo im Radio vom Klavier im Fluss.

„Ein Klavier ersäuft,
das finde ich einfach teuflich.
Oder war das gut Stück
wirklich nicht mehr verkäuflich?
Ach, welcher harter Schluss,
schwimmt ein Klavier im Fluss
und es schien mir
sehr verstimmt….“

Simone sehnte und sehnt sich wahrscheinlich (lange nicht gesehen) nicht nach dem Sozialismus zurück, nach Wehrübungen und schon gar nicht nach Mauer und Stacheldraht oder Fahnenappell vor der Schule. Sie sehnt sich nach früher zurück, nach den schönen Erinnerungen, die wir alle an unsere Vergangenheit haben. Und die wir immer in unseren Herzen und Gedanken tragen – egal, in welchem System wir gerade leben.

Schönes Wochenende,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur