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Es gibt 100 Gründe für Spahns Rücktritt – aber sicher nicht die angeblichen „Schrottmaskenaffäre“

Gesundheitsminister Jens Spahn steht im Kreuzfeuer der Kritik. Dieses Mal zu unrecht. Foto: Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa

von CHRISTIAN KOTT

BERLIN – Die SPD scheint in der für sie typischen Art von Wahlkampfmodus angekommen zu sein: Sie verspricht sich verbesserte Umfragewerte davon, andere unter Verdrehung von Tatsachen mit Unrat zu beschmeißen. Bestes Beispiel ist der scheinbare Skandal um Jens Spahns Gesundheitsministerium, der nach der Auffassung der Genossen wegen des sogenannten „Schrottmaskenskandals“ gefälligst den Hut nehmen soll.

Was war eigentlich passiert und was wurde daraus gemacht?

Mit der vermeintlichen Sensation kam kürzlich der „Spiegel“ heraus, der aufgedeckt haben wollte, dass das Gesundheitsministerium bereits im Frühjahr vergangenen Jahres zu hunderten Millionen gekaufte sogenannte „Schrottmasken“ unter Bedürftigen wie Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängern verteilen wollte. Hierzu hatte es einen Disput mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales gegeben, das – so ein Zufall – vom Sozialdemokraten Hubertus Heil geführt wird und sich stattdessen für die Vernichtung der riesigen Lagerbestände an betroffenen Masken eingesetzt hatte.

Nach Meinung des SPIEGEL eine schlimme Sache, was Spahn da vorhatte. Denn seine vermeintlich unionstypische soziale Kälte lässt sich wahlkampftauglich toll ausschlachten, wenn man Spahn in eine Ecke stellt, in dem er minderwertiges Material den Schwächsten der Gesellschaft unterjubelt, weil Spahn deren Gesundheit ja wohl offensichtlich nicht so wichtig sei.

Brav druckten beinahe alle Medien die Story von den „Schrottmasken“ nach und allen Ortes wurde die Frage laut, ob Spahn nun noch zu halten sei.

Was der tatsächliche (gar nicht mehr skandalöse) Sachverhalt ist, der zur Kampagne missbraucht werden sollte, wäre leicht zu recherchieren gewesen. Zutreffend ist zwar, dass Spahns Ministerium ab Februar 2020, als Masken überall knapp waren, aus China hunderte Millionen Masken bestellte, die die europäische CE-Zertifizierung nicht hatten. Es gab halt keine mit CE-Zertifizierung. Diese Masken erfüllten den chinesischen KN95-Standard, die infektionsschützende Wirkung war auch nach diesem Standard nachgewiesen und sie waren damit auf dem chinesischen Markt mangelfreie Handelsware.

Darf man diese Masken seriös als „Schrottmasken“ bezeichnen weil ihnen ein europäisches Siegel fehlt? Auch die Unterschiede in den Zertifikationsverfahren wären für das Wahlkampfteam aus SPD und SPIEGEL leicht zu recherchieren gewesen: Um das CE-Zertifikat zu bekommen hätten die Masken zwei weitere Untersuchungen bestehen müssen, nämlich einen Temperaturtest, bei dem die Masken unter anderem nach Lagerung von 24h bei 70 Grad Celsius immer noch hätten funktionieren müssen und einen Dauertest, der prüfen sollte, welchen Infektionsschutz die Masken noch haben, wenn man sie einer übermäßigen Gebrauchsdauer aussetzt. Wie praxisnah das ist, das mag jeder selber beurteilen, denn wer lagert seine Masken eigentlich im Umluftbackofen, und dass die OP-Masken nur für einen begrenzten Zeitraum haltbar sind und dann ersetzt werden müssen gilt ohnehin auch für Masken mit CE-Zertifikat.

Und was hätte Spahn denn im Frühjahr 2020 in der Marktsituation machen sollen? Etwa gar keine Masken kaufen, weil für europäische Richtlinien eine Maske nur dann eine Maske sein darf, wenn sie völlig realitätsferne Laborbedingungen erfüllt?

Bleibt die Frage, was man mit dem enormen Mengen mit Millionen Steuergeldern gekauften KN95-Masken nun machen soll, wenn der Markt mittlerweile genug CE-Masken anbietet. Hubertus Heil hätte die grundsätzlich funktionsfähigen Masken lieber vernichtet gesehen anstatt sie denjenigen zu geben, die anderenfalls mangels Geld im Portemonnaie vielleicht ganz ohne Maske durch das verseuchte Land laufen oder denjenigen, für die das Motto „Wir bleiben zu Hause!“ ohnehin nur blanker Zynismus ist, weil sie kein zu Hause haben. Man kann durchaus die Frage aufwerfen, ob in einer solchen Einstellung nicht eher ein Rücktrittgrund (gerade für einen Sozialdemokraten) zu sehen ist, oder Herr Heil?

Man kann von Minister Spahn halten, was man will. Und es gibt sicher 100 plausible Gründe, seinen Rücktritt zu verlangen. Die eigenartigen Mauscheleien bei fragwürdigen Maskendeals, seine vergiftete Nähe zur Pharmalobby, das komplette Verschlafen des Sommers 2020 bei der Pandemiebekämpfung oder auch das katastrophale Missmanagement bei Impfstoffbeschaffung und -verteilung, nur um ein paar Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen.

Aber im vorliegenden Fall den Begriff „Schrottmasken“ für grundsätzlich funktionsfähige Masken zu erfinden, damit aus keinem Skandal unbedingt einer wird, ist sicher kein Versehen. Das ist billigste Wahlkampfpropaganda, für die sich eine ehemalige Volkspartei selbst dann zu schade sein sollte, wenn die Umfragewerte wegen der völlig berechtigten Enttäuschung des Wählers weiterhin tief im Keller sind. Und auch ein Nachrichtenmagazin, dessen Auflage sich in dem gleichen Keller aufhält, könnte sich einmal selbstkritisch fragen, ob man so Leser gewinnt.

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Klaus Kelle, Chefredakteur