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Wollen wir nicht gute Menschen als Politiker?

Gibt es überhaupt noch gute Menschen? – II

Lukas Mihr
Licht am Ende des dunklen Tunnel: Wie wird ein Mensch objektiv gut?

Wie zuletzt gesehen scheint es keinen, oder wenn, dann nur einen sehr schwachen Generalfaktor des Guten zu geben. Menschen die sich stets für das Gute entscheiden sind selten. Viel wichtiger ist es, einfach blind der Herde hinterher zu laufen.

Verglichen mit so mancher Epoche der Vergangenheit leben wir – allen Widrigkeiten zum Trotz – letztlich doch in einer recht bequemen Phase der Geschichte. Das macht es schwierig, als guter Mensch aus der Masse herauszuragen. Aber in Abwandlung einer berühmten Phrase: Wo viel Schatten ist, ist auch viel Schatten.

Gerade in den dunkelsten Zeiten der Menschheit treten die strahlenden Vorbilder umso deutlicher hervor. Wer es wagte, sich gegen Unrecht aufzulehnen und bereit war, das eigene Leben zu riskieren, darf ohne Frage als Held gelten.

Was also macht die wenigen, die stets ihrem Gewissen folgten, so einzigartig?

Zunächst einmal ist klar, dass man intelligent sein muss, um ein guter Mensch zu sein. Nur wer klug genug ist, die Regierungspropaganda anzuzweifeln, erkennt, dass er im einem Unrechtsstaat lebt.

Doch so ganz stimmt das nicht. Intelligenz allein macht noch niemanden zum Oppositionellen.

Denn genial waren die beiden Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark ohne Frage. Dennoch dienten sie sich der NSDAP an und entwickelten die Deutsche Physik, die als Gegengewicht zu den Thesen des jüdischen Physikers Albert Einstein fungierte. Die Geschichte widerlegt die beiden doppelt. Nicht nur machten die sich mit einem verbrecherischen Regime gemein, auch Einsteins Thesen sind mittlerweile immer wieder aufs Neue bestätigt worden.

Bis zur Machtergreifung war Göttingen das Zentrum der wissenschaftlichen Welt

Weit mehr als heute Harvard. Dort versammelten sich die klügsten Geister ihrer Zeit. Doch selbst viele Juden und Linke die dort lehrten, konnten die drohende Gefahr nicht sehen. Mahner vor dem kommenden Unheil gab es – doch sie waren in der Minderheit und galten als Nervensägen. Wer schon wieder vor Hitler warnte, musste als Strafe eine Münze in eine Sparbüchse werfen, damit man sich abseits der Politik wieder auf die reine Mathematik konzentrieren konnte. Schon bald durften die nicht ganz so klugen Köpfe ihren Fehler am eigenen Leib erfahren. Den meisten gelang die Flucht ins Ausland – erst dadurch wurden die USA zur führenden Wissenschaftsmacht, die weniger Glücklichen landeten im KZ.

Auch heute noch sind viele (eigentlich) intelligente Menschen bereit, sich dem neuen Totalitarismus zu unterwerfen.

Die Hochbegabtenorganisation Mensa beispielsweise sprach sich für die Organisation Black Lives Matter aus, wie auch die Redaktionen der Fachzeitschriften Nature und Science. BLM behauptet, die amerikanische Polizei würde wahllos afroamerikanische Bürger erschießen. Tatsächlich hat das mit Rassismus nix zu tun. Die erschossenen Afroamerikaner sind in den meisten Fällen gewalttätige Kriminelle. Und seitdem die Polizei auf politischen Druck hin seltener in den schwarzen Stadtteilen Streife fährt, steigen dort die Mordraten. Würde BLM sich mit der radikalen Forderung, die Polizei ganz abzuschaffen, durchsetzen, wäre ein beispielloses Blutvergießen die Folge.

Tatsächlich scheinen intelligente Menschen den Versuchungen des Totalitarismus sogar noch einfacher zu verfallen. Sie haben eben meist einen höheren gesellschaftlichen Stand und durch soziale Isolierung mehr zu verlieren, weswegen sie sich der herrschenden Meinung lieber anpassen.

Aber sind Menschen, die sich dem Herdentrieb widersetzen automatisch besser?

Sind sie charakterlich stark genug, um sich dem Druck zu widersetzen, oder sind sie vielleicht charakterlich defekt? Der Herdentrieb hat sich eben nicht ohne Grund evolutionär herausgebildet. Ein Einzelgänger konnte in der Steinzeit kein Mammut erlegen, sich nicht gegen den Säbelzahntiger wehren und sich mit einem gebrochenen Bein nicht allein zurück in die sichere Höhle tragen.

Sich dem Herdentrieb zu verwehren, mag in vielen Fällen die richtige Entscheidung sein, aber wer sich überhaupt nicht in die Gesellschaft einfügt, mag dafür in ebenso vielen Fällen auch falsch liegen.

Und sollte ein guter Mensch stets friedfertig sein? Ein radikalpazifistisches Israel beispielsweise wäre schon längst untergegangen.

Während der Corona-Pandemie verglich sich eine junge Frau, nämlich „Jana aus Kassel“ wegen ihrer Haltung gegen die Maßnahmen mit Sophie Scholl. Das ist natürlich ein schräger Vergleich, aber er wirft die spannende Frage auf, wie sich die damaligen Widerständler im heutigen Deutschland positioniert hätten.

Da die meisten Mitglieder der Weißen Rose hingerichtet wurden, haben es nur wenige von ihnen bis in die jüngste Vergangenheit geschafft. Susanne Zeller-Hirzel jedenfalls hatte sich gegen die Islamisierung Deutschlands ausgesprochen, während Traute Lafrenz sich als Antifaschistin verstand und noch vor der AfD warnte – jedenfalls, wenn man in diesem Punkt den Angaben von Claas Relotius trauen will.

Eine eindeutige Antwort findet man auch sonst nicht. Die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit bezieht sich unter anderem positiv auf den Hitler-Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der tatsächlich deutschnational eingestellt war, und bei Pegida war oft die Wirmer-Flagge, das Symbol des Widerstands zu sehen – wogegen sich die Nachkommen Wirmers allerdings stets verwehrten.

Nach dem (aufgeblasenen) Skandal um die sog. Remigrationskonferenz in Potsdam verfassten 270 Nachkommen des militärischen Widerstands einen Aufruf gegen die AfD. Auch wenn diese Zahl beeindruckend klingt, bleibt sie ohne Aussagekraft. Denn wie groß ist denn der Personenkreis der Nachfahren? Stellen 270 Signateure nun 10, 50 oder 90 Prozent dar? Und übernimmt man automatisch die Haltung seiner Vorfahren? Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, Hitlers Statthalter in Polen, prangert die Verbrechen seines Vaters überdeutlich an.

Alexander Solchenizyn landete unter Stalin im Arbeitslager. Sein Werk „Archipel Gulag“, für das er den Literaturnobelpreis erhielt, erschien in den 70er Jahren und führte auch im Westen vielen den verbrecherischen Charakter der Sowjetunion vor Augen. Ohne Zweifel ist dies ein wichtiges Verdienst. In seinen späten Jahren wandte sich Solschenizyn jedoch antisemitischen Thesen zu und lobte Wladimir Putin. Gut möglich, dass er sich auch für den Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen hätte.

Walter Ulbricht musste wegen seines Kampfes gegen die Nazis ins sowjetische Exil flüchten

Nach 1945 kehrte er als Sieger zurück und baute als Generalsekretär der SED die DDR auf. Nicht ganz unähnlich musste auch der Schriftsteller Bertold Brecht vor den Nazis flüchten und arrangierte sich dann mit der Diktatur in Ostdeutschland. Allerdings nur bis zur brutalen Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juli 1953. Seine Worte: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“, überdauern die Ewigkeit. Brecht brauchte also zunächst einen Lernprozess um den verbrecherischen Charakter des Marxismus zu erkennen. An dessen verfehlter Wirtschaftspolitik hielt er jedoch fest. Mit ihm hätte es vielleicht eine DDR ohne Stasi gegeben – am niedrigen Lebensstandard hätte er allerdings auch nichts geändert.

Wird nun der Rechte zum Oppositionellen in der linken Diktatur und der Linke zum Oppositionellen in der rechten Diktatur? Oder wird sich ein Demokrat immer dem Totalitarismus entgegenstellen?

Indizien findet man für jede These. Der Historiker Timothy Synder jedenfalls berichtet in seinem Meisterwerk „Bloodlands“, dass die Sowjetunion nach 1945 bevorzugt Kollaborateure der Nazis für ihre Zwecke anheuerte. Denn diese hatten ja bereits bewiesen, dass ihnen Menschenrechte nicht viel galten und waren durch ihre Vergangenheit besonders leicht erpressbar.

Der Gedanke, gute Menschen einfach anhand einiger weniger objektiv feststellbarer Charaktereigenschaften zu identifizieren, ist verführerisch. Denn wäre dies möglich, müsste man ja nur angehende Politiker testen und fortan würde die Regierung stets im besten Interesse aller Menschen handeln. Doch ganz so einfach ist es nicht.

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur