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Einer der größten Slums der Welt

Mitten in der Hölle entzündet Jesus ein Licht

ESTHER VON KROSIGK
Foto: daily maverick | Khayelitsha: Wer hier lebt, stirbt meistens früh.

Es gibt Tage wie diese: Als Pfarrer Pierre Goldie in einer kleinen Kirche den Gottesdienst vorbereitet, kommt ein Mann herein, der leise Worte vor sich hinmurmelt und plötzlich seine Hand in die Tasche des Priesters steckt. Als der Geistliche den Mann am Handgelenk packen will, flüchtet der Dieb nach draußen zu seinen Komplizen, die bewaffnet sind. Einer von ihnen erteilt den Befehl, den Priester zu erschießen.

Der Vorfall ist zwei Monate her und Pfarrer Goldie spricht darüber in ruhigem Tonfall. Er sagt, er sei auch während des Überfalls äußerlich ruhig geblieben und habe lediglich still zu den Erzengeln gebetet. Als die Waffe dann auf ihn gerichtet wurde, habe er gesehen, wie die Hand des Typen mit einem Mal zu zittern angefangen habe, die Pistole habe er schnell wieder eingesteckt und schließlich sei die ganze Gruppe von Männern verschwunden.

Pierre Goldie ist seit vier Jahren Pfarrer von St. Raphael, einer katholischen Kirche in Khayelitsha in Western Cape. Sie ist eine der größten und am schnellsten wachsenden Townships von Südafrika – 2011 betrug die Bevölkerungszahl etwa 400.000, zwölf Jahre später hat sich die Zahl mit schätzungsweise 2,4 Millionen Menschen versechsfacht.

Trotz hoher Kriminalität kaum Polizei, dafür gibt es mehrere Kirchen

Khayelitsha gehört nicht nur zu den fünf größten Slums der Welt, sondern gilt auch als äußerst gefährlich. Fast täglich kommt es zu Morden und Massenerschießungen. Eine im „African Journal of Emergency Medicine“ veröffentlichte Studie ergab, dass junge Menschen, die in Khayelitsha leben, ein 25-mal höheres Risiko haben, gewaltsam zu sterben als der weltweite Durchschnitt. „Wenn man 30 wird, ist das ein Segen, denn viele Menschen erreichen das Alter nicht. Jeden Tag sterben Menschen, und man weiß nie, ob man der Nächste ist“, sagte Bonga Zamisa, ein politischer Erzieher der Social Justice Coalition (SJC) in einem Interview im vergangenen Jahr. Die Stadt aus endlosen Reihen streichholzschachtelgroßer Häuser und Hütten hat insgesamt nur drei Polizeistationen – dafür aber mehrere Kirchen.

Pfarrer Goldie lebt mitten in der Township gleich neben einer Einrichtung der Missionarinnen der Nächstenliebe (Schwestern der Mutter Teresa), die sich um bedürftige Menschen kümmern. Täglich feiert er mit den Schwestern eine heilige Messe, bei der auch Gläubige willkommen sind, anschließend macht der Priester Krankenbesuche, segnet Häuser und Autos und widmet sich der Verwaltungsarbeit.

Katholische Priester kämpfen gegen Hexerei, Zauberei und Ahnenkult an

Rund 80 Prozent der Township-Bewohner sind Christen, doch prozentual dürfte es bei ihnen ähnlich aussehen, wie bei Südafrikas Gesamtbevölkerung: Nur etwa sechs Prozent sind Katholiken. Die Mehrheit gehört einer der sogenannten „Unabhängigen Schwarzen Kirchen“ an, von denen es mehrere Tausend gibt. Sie alle stehen nicht unter der Kontrolle von Weißen und sind zum großen Teil auch aus dem Wunsch, sich von weißer Dominanz zu befreien, entstanden. Sie beziehen sich auf den christlichen Glauben, integrieren jedoch traditionell-afrikanische Glaubensvorstellungen wie zum Beispiel den Ahnenkult in die religiöse Praxis mit ein.

Als katholischer Priester in Khayelitsha hat auch Father Goldie in seiner von Schwarzen dominierten Glaubensgemeinschaft mit Phänomen wie Hexerei, Zauberei und Forderungen durch Ahnen zu kämpfen. Er sagt: „Die Ahnen sind sehr mächtig. Auch Katholiken gehen zu traditionellen Heilern, wenn sie ein Problem haben oder krank sind. Zunächst beten sie zu Gott, zu Jesus, dann rufen sie den Priester, der die Person salbt – und wenn das alles nicht hilft, wenden sie sich an den traditionellen afrikanischen Heiler.“

Er nennt es ein „duales System“ – doch auch dieses birgt Gefahren. Welche Auswirkungen die heidnischen Bräuche haben können, zeigt der Fall von Südafrikas erstem Märtyrer Benedict Daswa, der 2015 offiziell seliggesprochen wurde. Der zum Katholizismus konvertierte Jude setzte sich für die Bevölkerung ein, baute eine Schule und eine Kirche. 1990 steckte ein Gewitter in seinem Heimatort mehrere Hütten in Brand, wofür die Bewohner „Hexen“ verantwortlich machten. Daswa weigerte sich als einziger, die Hetzjagd zu unterstützen und wurde deswegen zu Tode gesteinigt.

Opferbereitschaft bis hin zur Hingabe des eigenen Lebens

In vielen Teilen der Welt, vor allem in den ärmeren, ist Priestertum häufig gelebtes Opfertum. Das gilt auch für Südafrika, obgleich das Land nach wie vor zu den fortschrittlichsten des schwarzen Kontinents gehört. Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid sind die Townships, in die Schwarze während der Apartheid von der weißen Minderheitsregierung zwangsumgesiedelt wurden, weitaus ärmer als die von Weißen bewohnten Gebiete. Denn es strömen Massen von Menschen aus anderen afrikanischen Ländern ans Kap in der Hoffnung, Arbeit und damit ein besseres Leben zu finden. Ob das möglich ist bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 20.000 Rand? Das sind gerade einmal 80 Euro im Monat.

Der selbstlose Einsatz von Priestern und Ordensschwestern in einem von Elend, Aberglaube und Gewalt geprägten Umfeld dürfte für die Menschen vor Ort der einzige Lichtblick sein. Doch die Zeit, da religiöse Stätten als Zufluchtsorte galten, sei wohl vorbei, äußerte im Oktober der Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrats Mzwandile Molo, nachdem zwei Pastoren in Johannesburg ermordet wurden. Er fügte an, dass die Überfälle einer Entweihung gleichkämen und weit über gewöhnliche Verbrechen hinausgingen.

Eine solche Opferbereitschaft bis hin zur Hingabe des eigenen Lebens ist in Mitteleuropa, wo Priester durch die Zusammenlegung von Gemeinden über Burnout klagen und Bischöfe dank ihres hohen Gehalts ihr Handicap auf Golfplätzen verbessern können, schwer vorstellbar.

Was ist das Anliegen von Pfarrer Goldie? Er lächelt und sagt: „Zu helfen und den Menschen hier zu zeigen, dass Jesus unser größter, wirklicher Ahn ist.“

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur