Nein, der Attentäter von Würzburg wird kein bequemes Leben haben – nie mehr
von CHRISTIAN KOTT
WÜRZBURG – Aufregung verbreitete die Nachricht, dass der Attentäter von Würzburg, der aus Somalia stammende Abdirahman Jibrin A., laut zweier unabhängiger Gutachten schuldunfähig gewesen sein soll. Der 24jährige soll im Juni in einem Würzburger Kaufhaus drei Frauen erstochen und acht Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt haben bevor er von mutigen Passanten gestoppt werden konnte.
In den sozialen Medien kocht nun eine Wut und undifferenzierte Justizschelte hoch, die einem als Juristen nur Kopfschütteln abverlangt. Insbesondere die immer gleichen Profile, die ihre Reichweiten gerne damit aufbessern, dass sie eigentlich normale Vorgänge skandalisieren, schüren die Empörung der Öffentlichkeit indem sie den Eindruck erweckten, der Somalier ginge nun quasi straffrei aus oder würde nun vielleicht abgeschoben.
Das ist natürlich nicht der Fall, und diejenigen, die dies suggerieren, wissen das genau, verschweigen es aber ihrem aufgeregtem Publikum, denn sonst wäre es ja keinen Mausklick wert.
Tatsächlich ist das Ergebnis der Gutachten zunächst einmal nur für einen eine schlechte Nachricht: Für den Täter selbst. Denn dieser landet statt in Strafhaft, wo man nach deutschem Justizsystem gerade als 24jähriger durchaus eine Perspektive auf einen erheblichen Teil von Lebenszeit in Freiheit gehabt hätte, im sogenannten Maßregelvollzug.
Was ist das genau? Maßregelvollzug ist eine zeitlich unbefristete Unterbringung in speziell dafür eingerichteten geschlossenen psychiatrischen Krankenhäusern. Als Strafverteidiger hatte ich unzählige Gefangenenbesuche in gewöhnlichen Justizvollzugsanstalten zu machen, nur zwei Mal habe ich einen Mandanten in einem solchen psychiatrischen Krankenhaus aufgesucht. Um es kurz zu machen: Dagegen ist jede Justizvollzugsanstalt ein Luxushotel; absolut niemand möchte dort auch nur für einen einzigen Tage einsitzen.
Und der somalische Messerstecher wird nicht nur einen einzigen Tag sondern sehr wahrscheinlich für den echten Rest seines noch langen Lebens dort bleiben. Denn um jemals dort wieder herauszukommen müssten nicht nur die behandelnden Ärzte sondern auch eine mit Richtern besetzte Strafkammer attestieren, dass von Abdirahman A. keinerlei Gefahr mehr ausgeht. Aus der juristischen Praxis heraus darf ich uns alle beruhigen: Das ist so unwahrscheinlich, dass man das wohl vernachlässigen kann. Der Fall Gustl Mollath zeigte eindrucksvoll, dass nicht einmal psychisch Gesunde realistische Chancen haben, jemals aus dem Maßregelvollzug heraus zu kommen wenn sie nicht (wie Mollath) ein Glück haben, dass einem Sechser im Lotto mit Zusatzzahl gleich kommt.
Gerade die Angehörigen der Opfer, mit denen die Clickbaiter in sozialen Medien gerne Rattenfänger spielen, können im deutschen Rechtssystem keine schlimmere „Strafe“ und keine größere Genugtuung geboten bekommen, als die Unterbringung des Täters im Maßregelvollzug.
Und Abschiebung? Lächerlicher kann man sich in der Öffentlichkeit nun wirklich nicht machen. Wer sich auch nur halbwegs mit der Praxis auskennt, der weiß, dass Somalia den durchgeknallten Messerstecher auf keinen Fall zurücknehmen wird.
Doch nun einmal weg von Hasspredigern in den sozialen Medien, hin zum ach so seriösen Mainstream-Journalismus, der sich bis auf wenige Ausnahmen damit begnügte, die Standardmeldung einer Nachrichtenagentur nachzuplappern. Diese verschwieg nämlich, was mit dem Täter nun passiert. Bis auf eine einzige Ausnahme, nämlich einen gut recherchierten Artikel des Journalisten Ibrahim Naber der WELT konnte ich der deutschen Qualitätspresse keine Informationen über die Zukunft des Somaliers abgewinnen – kein Wunder, dass die Hysteriker in den sozialen Medien so etwas ausschlachten. Denn wer weiß schon, was Maßregelvollzug ist?
Klar, theoretisch wäre es ohne weiteres möglich, dass jeder von uns bei der Lektüre jedes Zeitungsartikels parallel die Hintergründe im Netz recherchiert, aber wer macht das schon?
Zwischen dem Geschrei vieler Clickbaiter in den sozialen Medien und den langweiligen und oberflächlichen Nachrichtenagentur-Einheitsmeldungen, die der qualitativ abgerüstete Journalismus uns als „Information“ verkaufen will, klafft eine riesige Lücke. Und diese Lücke ist gefährlich, denn Unwissenheit und fehlende Sachinformationen machen es den Rattenfängern leicht, über die Grundfesten unserer Staatsordnung herzuziehen. Gerade bei juristischen Themen stellen sich sehr oft Stories nur dadurch als ein vermeintlich berichtenswerter Scheinskandal dar, wenn man die Hintergründe weglässt. Kurz gesagt: Eine gut informierte Bevölkerung wäre deutlich schwerer an der Nase herumzuführen.
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Klaus Kelle, Chefredakteur