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Zu Besuch bei einer Kleinpartei in Regensburg

Liebe Leserinnen und Leser,

als verantwortlicher Redakteur eines Nachrichtenmediums darf ich keine Wahlempfehlungen aussprechen, weil unabhängig, unparteiisch und so weiter. Die Tradition angelsächsischer Zeitungen, den Lesern vor einer Wahl klar zu sagen, was und wer gut für das Land ist, ist hierzulande selten, zumal das Framing des deutschen Mainstreams den gleichen Zweck viel effektiver erfüllt. Und man weiß auch nicht, wie wirkungsvoll Wahlempfehlungen tatsächlich sind. 2016 empfahlen die größten 50 Tageszeitungen der USA ihren Lesern unisono: Wählt, was Ihr wollt, aber bloß nicht diesen schrecklichen Donald Trump. Und? Was taten die? Genau…

Vor Wochen flatterte eine Einladung der kleinen LKR auf meinen Schreibtisch. LKR, die „Liberal-Konservativen Reformer“, das sind die, die sich einst nach dem Sturz Bernd Luckes als AfD-Vorsitzender neu formierten, um die eurokritische und wirtschaftsliberale Intention der Ursprungs-AfD wieder aufleben zu lassen. Mit Lucke verließen damals mehrere Tausend Mitglieder die AfD, aber nur ein Teil von Ihnen war bereit, noch ein zweites Mal mit einer neuen Partei in die Schlacht zu ziehen. Kluge Leute, zweifellos, gestandene Persönlichkeiten, aber eben auch eine geschlagene Truppe, die zuletzt bei der Europawahl nur rund 40.000 Stimmen vom Wahlvolk einsammeln konnte. Viel zu wenig, Bernd Lucke zog sich aus der ersten Reihe zurück. Ein Bundesparteitag tagte in Kassel, rund 100 Versprengte diskutierten, ob sie die LKR nicht auslösen und abwickeln sollten – sie entschieden sich letztlich fürs Weitermachen.

Bei der Bundestagswahl am 26. September steht die LKR auf dem Wahlzettel, alle Unterschriften zusammen, Kandidaten fast flächendeckend, was eine überaus beachtliche Leistung ist. Immer wieder lässt die LKR aufhorchen, wenn Bundes- oder Landtagsabgeordnete von der AfD rübermachen wie Mario Mieruch und Uwe Kaman oder die frühere niedersächsische Partei- und Fraktionsvorsitzende Dana Guth, die auf einem dramatischen Parteitag in Braunschweig gestürzt wurde. Der rechte „Flügel“ zog damals erfolgreich die Strippen gegen die streitbare Politikerin, die dann auch zur LKR wechselte.

Eine schillernde Truppe, bürgerlich auf jeden Fall, thematisch für meinen Geschmack verengt, konservativ und auch liberal. Zwei unglaublich engagierte LKR-Mitglieder aus der Oberpfalz, Daniela und Christian, hatten mich eingeladen, und weil ich beide persönlich mag, war ich gestern im großen Saal des Kolpinghauses dabei, durfte auch reden zur Lage Deutschlands wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Beifall gab es auch, obwohl ich – wie gesagt – klarstellte, dass ich als Journalist nicht für eine Partei werben kann, aber ganz entschieden für einen Politikwechsel in Deutschland. Und das um 180 Grad, denn die Politik dieser Bundesregierung ist nicht mehr zu ertragen, egal, ob es ums Impfen oder um die Evakuierung aus Afghanistan geht.

Warum aber eine Partei wählen, die nach menschlichem Ermessen keine Chance hat, in den Deutschen Bundestag einzuziehen? Eine spannende Frage, der wir uns im kleinen Kreis von zehn Leuten anschließend in einem bayerischen Wirtshaus widmeten. Ein Zeichen setzen, dass es zwischen der runtergemerkelten CDU mit ihrem Kanzlerkandidaten, der einem fast schon leid tun kann, und der AfD, die partout ihre Rechtsauslager nicht los wird, noch etwas gibt. Und weil man eben verzweifelt ist, dass es seit Jahren nicht gelingt, in diesem Sektor zwischen Mitte und Rechts eine neue politische Kraft zu formieren mit all den großen Netzwerken, mit WerteUnion, Atlas-Initiative, Bürgerlich-Freiheitlicher Aufbruch und Schwarmintelligenz.

Thilo, ein aktiver LKR-Mann und Kollege von „achgut“, erzählt beim zweiten Hoiben, wie er allein an seinem Infostand in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt nach und nach 25 Mitglieder geworben hat. In anderen Städten gibt es nicht einen mit dem Parteibuch der LKR. Am Tisch sitzt auch ein junger Mann mit seiner Freundin, der mit Beifall begrüßt wurde, weil er gestern in die LKR in Regensburg eingetreten ist. Es ist ein schöner Abend mit sympathischen Leuten, wir essen Haxe und Bratwürschtl und verabschieden uns, nachdem wir fast alle per Du sind.

Als ich in meinem Hotelzimmer ankomme, habe ich 13 WhatsApp-Nachrichten, dass der frühere Landes- und Fraktionschef der AfD in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, gemeinsam mit seiner Frau Claudia die AfD verlassen hat. Der (Rechts-)Kurs der AfD stört ihn seit langem, nun hat er den letzten Schritt getan. In einer Pressemitteilung empfiehlt er seinen Freunden und früheren Wählern, die LKR zu unterstützen. Langweilig wird es auch bei den kleinen Parteien nie.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur