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1. April? Ach, das lassen wir dieses Jahr mal schön bleiben

von CHRISTIAN KOTT

Ein gutgemachter Aprilscherz ist Tradition und muss nicht unbedingt als alberne Kindergartengeschichte daherkommen. Die Kunst eines Aprilscherzes besteht ja darin, dass man ihn nicht auf den ersten Blick als erfundene Geschichte erkennt, sondern wenigstens kurz das eigentlich Undenkbare für möglich und eingetreten hält.

In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Beispiele für legendäre Aprilscherze. So zeigte 1957 die BBC am 1. April einen „Dokumentarfilm“ über einen Baum, an dem Spaghettis wachsen, den tatsächlich acht Millionen Briten anschten und Hunderte dazu veranlaßte, bei der BBC anzurufen und sich zu erkundigen, wie man den Spaghettibaum anbauen könne.

Oft und gerne wiederholt wird in zahlreichen Medien die Warnung vor dem gefährlichen Umweltgift Dihydrogenmonoxid (H2O), das beim Einatmen sogar tödlich wirken könne.
Manch ein Aprilscherz ging auch mächtig daneben wie der eines amerikanischen TV-Senders im Jahre 1980, der scherzhaft einfach in einer Nachrichtensendung erklärte, ein Berg südlich von Boston (der nicht einmal ein Vulkan war) sei „ausgebrochen“ und damit unbeabsichtigt eine Massenpanik auslöste, weil es genug Deppen gab, die das ernsthaft glaubten.

Dieses Jahr verzichte ich darauf, meine Umgebung in den April zu schicken, und zwar gleich aus mehreren Gründen:

Erstens (und so ganz kann ich es ja doch nicht lassen) hat Karl Lauterbach anlässlich seiner 25.000sten Teilnahme bei „Markus Lanz“ erklärt, dass von Aprilscherzen ein erhebliches Infektionsrisiko ausgeht, und Gesundheit geht nun einmal vor.

Zweitens gehen einem zwangsläufig die Ideen aus. Seien es Theorien über Mini-Computerchips von Bill Gates in Impfstoffen, Klimahysterie weil es im Sommer warm wird, ein Containerschiffkapitän, der ein riesiges Genitalbild in das Wasser des Roten Meers malt und kurz darauf sein Schiff in die Böschung des Suezkanals semmelt oder Armin Laschet – die Realität des vergangenen Jahres hatte ganzjährig viel skurrilere Geschichten parat, als ich sie mir hätte ausdenken können.

Das Jahr wird auch nach dem April fortgesetzt, wenn zum Beispiel Annalena Baerbock sich Kanzlerkandidatin nennen darf und vermutlich sogar Chancen auf das Amt hat. Wer soll da noch unterscheiden, was Realität und was Fiktion ist?

Es gibt noch einen dritten Grund, und das ist ein ernster: Mir und den meisten in Deutschland dürfte derzeit nicht so wirklich zum Scherzen zumute sein. Denn egal wie man die Gefahr durch das Coronavirus persönlich einschätzen mag, Deutschland hat sich binnen eines Jahres dramatisch verändert, und zwar in keinem einzigen Punkt zum Besseren. Rund 75.000 Menschen sind laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts an oder mit Corona gestorben. Von einem Großteil davon durften sich die Angehörigen nicht einmal verabschieden. Viele, die die Krankheit überstanden haben, leiden immer noch an den Spätfolgen.

Hunderttausende Senioren sind in Pflegeheimen seit einem Jahr vereinsamt und isoliert.Ganze Branchen und diejenigen, die darin ihren Lebensunterhalt verdient hatten, sind ruiniert oder kurz davor. Sie werden von der Politik schulterzuckend wie Kollateralschäden behandelt und vollständig im Stich gelassen.

Die Gesellschaft ist tief gespalten, so tief wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die öffentlichen Haushalte werden mit gigantischen Schuldenbergen aufgefüllt, die der folgenden Generation als Erblast hinterlassen werden.

Und als sei das nicht eigentlich genug Herausforderung für unsere gewählten Volksvertreter bereichern sich zahlreiche von ihnen auf Kosten der Allgemeinheit durch schamlose Korruption mit teils schwindelerregenden Beträgen. Allein 22 Mal hat der Bundestag die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, wenn auch nicht immer wegen Korruption. Gleichzeitig erinnert das Krisenmanagement eines Gremiums aus Bundeskanzlerin und 16 Ministerpräsidenten, das es nach unserer Rechtsordnung gar nicht gibt, an eine Mischung aus einem schlechten LSD-Trip und dem Drehbuch des legendären Kultfilms „Idiocracy“, der schon 2006 vorhersah, was heute Realität ist.

Und in diese Situation hinein soll ich mir aus Anlass des 1. April eine nur auf den ersten Blick lustige Geschichte einfallen lassen? Das lassen wir mal dieses Jahr lieber bleiben…

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Klaus Kelle, Chefredakteur