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22. Juni 1974 – der Tag als Jürgen Sparwasser ins Tor und in die Herzen der westdeutschen Fußball-Fans traf

Liebe Leserinnen und Leser,

erinnern Sie sich noch?

Am 22. Juni 1974 schlug die Mannschaft der DDR im Hamburger Volksparkstadion den Gastgeber, die hochfavorisierte Mannschaft aus…ja, wie soll ich das bezeichnen…Westdeutschland? In unserem West-Verständnis waren unsere Jungs ja die deutsche Mannschaft. Andererseits waren die Deutschen von „drüben“ aber ja auch Deutsche. Nicht leicht alles, aber Sie wissen schon, was ich meine.

Das war schon irgendwie eine historisches Ereignis damals, denn es war zugleich das einzige Mal überhaupt, bei der sich die DDR-Mannschaft für eine Weltmeisterschaft qualifizierte. Und dann die Auslosung – gegen Deutschland, Westdeutschland, BRD, wie immer Sie mögen. Sechs Wochen vorher war Bundeskanzler Willy Brandt zurückgetreten, sein Sturz als Folge der Enttarnung eines DDR-Spions im engsten Umfeld: Günter Guillaume.

Also, die Stimmung zwischen den beiden Teilen Deutschlands war mal wieder auf dem Tiefpunkt, und dann diese Auslosung.

Kein schöner Tag auch für Stasi-Chef Erich Mielke. Sein Albtraum war, dass Spieler der DDR-Mannschaft im Westen zum „Klassenfeind“rübermachen oder abgeworben werden könnten. Im November 1973 erließ Mielke einen ersten Befehl zur Überwachung von Leistungssportlern. Alle Fußballer wurden im Vorfeld politisch geschult. Neben den Aktiven wurden außerdem Trainer, Funktionäre, Masseure, Ärzte und Journalisten überwacht.

Ausschnitt aus dem Befehl zur „Aktion Leder“

„Auszuwählen sind solche Bürger, die als bewusste sozialistische Staatsbürger eine aktive Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben zeigen sowie ihre politische Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben.“ Zugleich seien die DDR-Fußballtouristen „bis zur Abreise zu den Spielen im Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich unter Kontrolle zu halten. Hierzu sind geeignete und überprüfte IM einzusetzen. Postkontrolle ist einzuleiten“, so der Aktenvermerk.

Einer der Auserwählten ist Dieter Tetzlaff: „Ich gehörte zu den Ausgesuchten, weil ich Familie hatte, ein Haus, ein größeres Auto. Mir ging es nicht schlecht, und deswegen ist man sicherlich drauf gestoßen: Na, den können wir fahren lassen, der ist linientreu und kommt wieder.“

Auch die Fans bekommen einen klaren Auftrag: Sie sollen in ihrem Fanblock das Team politisch und moralisch im Wettkampf unterstützen, dabei die Disziplin wahren und Übertreibungen vermeiden. Auch werden sie geschult, wie sie im Falle einer „Provokation durch den Klassenfeind“ zu reagieren haben.

Also, Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht. In der 77. Minute trifft Jürgen Sparwasser zum 1:0 und damit zum Sieg. In den Minuten danach war es in Westdeutschland sehr, sehr still. Auch bei uns zu Hause. Niemand hatte für möglich gehalten, dass die DDR auch nur eine Chance haben würde. Aber aus heutiger Sicht habe ich meinen Frieden damit gemacht. Die DDR schied dann in der Zwischenrunde aus. Die Westdeutschen rissen sich zusammen und wurden dann noch Weltmeister, was gut für das Selbstvertrauen war.

Ich selbst wäre beim Finale gegen Holland beinahe enterbt worden, weil ich im Kreise von Vater, Mutter, Onkels und Cousins als einziger jubelte, als die Niederlande 1:0 in Führung gingen. Ich fand während des ganzen Turniers, dass die „Oranje“-Jungs den attraktivsten Fußball damals spielten. Aber mit 15 Jahren war es mit der Meinungsfreiheit auch bei Kelles nicht lupenrein. Im Übrigen hat sich der alte Grundsatz bewahrheitet, den mir meine vielen ostdeutschen Freunde seit 1989 bestimmt schon 1000 x gesagt haben: „Es war nicht alles schlecht….“ In diesem Sinne…

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur