Frau Brosius-Gersdorf ist raus! Was lernen wir aus der vergangenen Woche in Berlin?

„Ich werde hier keine weiteren Ankündigungen machen“, stellt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im ARD-Sommerinterview gestern klar – aber ganz ehrlich: Warum führt man dann solche Sommerinterviews? Am Freitag hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprichwörtlich in letzter Sekunde die Reißleine gezogen und die Wahl einer schrecklichen Richterin ins Bundesverfassungsgericht durch Absetzung von der Tagesordnung verhindert. Und das ist gut. Denn in der Politik kommt es letztlich auf Ergebnisse an.
In Zeiten, in denen das Thema Abtreibung alle paar Jahren wieder hochgespült wird, in denen die von uns allen niemals in Frage gestellte Menschenwürde zur Disposition gestellt wird und eine linke Juristin darüber vorurteilsfrei und regelbasiert entscheiden soll, die größte Oppositionspartei in Deutschland, die fast ein Viertel der Bevölkerung hinter sich weiß, zu verbieten – das Ergebnis aber schon mal in Fernsehtalkshows vor ihrer Wahl verkündet – ist der Aufstand in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bemerkenswert. Wie viele Menschen, Konservative und Christen, hätten selbst nicht mehr für möglich gehalten, dass es in der Union plötzlich hoch hergeht bei Themen wie Abtreibung?
Und wie viele Abgeordnete haben aus dem Nichts plötzlich den Unmut ihrer Wähler so geballt erlebt?
Lebensschutz, Abtreibung, Sterbehilfe – das sind die Themen, die zur DNA von CDU und CSU gehören. Eine Kandidatin für unser höchstes Gericht, die einem neun Monate alten Kind im Mutterleid allen Ernstes die Menschenwürde abspricht, die darf nicht gewählt werden. Auf keinen Fall aber darf eine auf christlichen Werten basierende Partei das mitmachen und zustimmen.
Vieles ist falsch gelaufen vorher
Was machen eigentlich die juristischen Fachleute, die für die Bundestagsfraktion der Union gut bezahlt arbeiten, beruflich? Warum hat sich offenkundig niemand ausreichend mit der Personalie Frauke Brosius-Gersdorf und ihren kruden Ansichten beschäftigt? „Wir hätten früher erkennen können, dass es da zumindest Unmut gibt“, versucht Merz bei der ARD den Vorgang zu verniedlichen, und die Fraktionsspitze habe – leider, leider – „den Unmut“ der Abgeordneten nicht rechtzeitig erkannt. Und es sei ja noch so vieles andere losgewesen durch das „straffe“ Gesetzgebungsprogramm der vergangenen Wochen“.
Tut mir leid, diese Ausrede darf man nicht gelten lassen!
Friedrich Merz selber hat mal die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür kritisiert, dass sie – bei der Migration – nicht rechtzeitig das anschwellende Grummeln an der Parteibasis vernommen hat. Und nun passiert ihm der Fehler selbst?
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch hat den Bundeskanzler in der parlamentarischen Fragestunde am Freitag vor den Augen der Öffentlichkeit vorgeführt. Sein „Ja“ auf ihre Frage, ob er es persönlich mit seinem Gewissen vereinbaren könne, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, war wirklich dumm. Ich habe mir das mehrmals angeschaut, seinen überheblichen Blick, der Bände sprach. Dieser bösen rechten Tante werde ich es jetzt aber mal so richtig zeigen, dass wir uns von der AfD gar nichts vorschreiben lassen. Aber das Ergebnis war: Punkt, Satz und Sieg gingen eindeutig an Frau von Storch.
Man konnte gar nicht glauben, was man da gerade gehört hatte vom Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union.
Alles doch „kein Beinbruch“, sagte Merz auch noch bei der ARD gestern, und es ist auch kein Beinbruch, denn es ist ja nochmal irgendwie gutgegangen. Aber das hätte nicht passieren dürfen. Das alles.
Fraktionschef Jens Spahn hätte der SPD nicht Zustimmung für eine solche Kandidatin signalisieren dürfen.
Friedrich Merz hätte am Freitag nicht das „Ja-Wort“ sagen dürfen.
Die SPD hätte niemals eine solche ungeeignete Kandidatin nominieren dürfen für das Bundesverfassungsgericht.
Anfang der vergangenen Woche haben wir uns erstmals intensiv mit Frau Brosius-Gersdorf und dem wachsenden Widerstand in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschäftigt. Dass ein paar Abgeordnete im Bundestag gegen diesen Personalvorschlag stimmen würden, war klar, es gibt durchaus überzeugte Pro Lifer dort.
Ich selbst konnte mit sieben Bundestagsabgeordneten in der Woche persönlich sprechen, und es war absehbar, dass es wahrscheinlich bis zu 30 MdBs wagen würden, nicht mit Ja zu stimmen, trotz Bearbeitung durch die Fraktionsspitze. Als mir einer am Donnerstag am Telefon sagte, er habe nach Diskussionsverlauf in der Fraktion und Gesprächen mit Kollegen mal eine kleine Liste aufgestellt und komme auf mindestens 50 Unions-Abgeordnete, die nicht mitspielen wollten, wurde mir klar, dass hier etwas ins Rollen gekommen ist.
Die Rolle der freien Medien wurde hinterher in unseren Milieus viel gelobt – zurecht. Allen voran NIUS von Julian Reichelt, weil der mit seiner großen Reichweite und seinen eloquenten Auftritten auf seinem Portal für richtig Schwung sorgte. Apollo News war auch sehr gut, Tichy, wir und alle anderen haben mitgeholfen. Aber der Gedanke, dass die in der Sache klare Berichterstattung entscheidend gewesen sei ist genauso abwegig wie der Gedanke, das alles sei ja nun irgendwie wieder einmal der AfD zu verdanken, wie nahezu alles, was irgendwie im Bundestag passiert. Nur weil es die AfD gibt, passiert da alles irgendwie. Aber trotz des cleveren Schachzugs von Frau von Storch bei der Fragestunde mit dem Kanzler war das wie die Berichterstattung auch nur ein Puzzleteilchen.
Entscheidender waren da schon die mehr als 25.000 empörten Mails und Briefe, die aus allen Teilen Deutschlands den Wahlkreisabgeordneten der Union um die Ohren flogen. Die katholischen Bischöfe – allen voran wieder einmal Oster, Voderholzer und dann auch Kardinal Woelki aus Köln, die 120.000 Unterschriften der Petition von Citizen GO. Alles Mosaikstücke, die aber schnell zu einem Grundrauschen und der allgemeinen Überzeugung führte, dass man eine Frau, die ungeborenen Kindern Minuten vor der Geburt noch ihre Menschenwürde nach Artikel 1 GG abspricht, nicht wählen kann und darf.
Und so kam es dann auch
Spahns Move, die anrollende Bombe mit einem Plagiatsverdacht zu entschärfen, ist politisch-strategisch nachvollziehbar, aber ebenfalls unprofessionell. Sagt doch einfach, warum Frau Brosius-Gersdorf für die Union nicht wählbar ist! Raus damit! Zeigt, dass Ihr euch ernsthaft für eure Grundüberzeugungen ins Getümmel stürzt!
Die Personalie Brosius-Gersdorf ist noch nicht offiziell vom Tisch, aber die Frau ist politisch definitiv verbrannt. Die parlamentarische Sommerpause hat begonnen, und es ist ausreichend Zeit, damit sich Union und SPD zusammensetzen und bis September eine tragfähige Lösung finden können. Wieder einmal gutgegangen, aber es war haarscharf…
Julian Reichelt übrigens schrieb nach der Entscheidung, es sei das erste Mal seit Jahren, dass die CDU wieder einmal wieder konsequent ihren Überzeugungen Ausdruck verliehen habe und Freitag sei ein Erfolg der CDU/CSU. Sogleich würde er von wahren AfD-Horden in den (a)sozialen Netzwerken übelst beschimpft. Er sei ja auch nur „CDU-Sympathisant“ und ein „Systemjournalist“. So frisst die Revolution ihre Kinder. Auf all die anderen wüsten Debatten und Schwachsinns-Vermutungen gehe ich hier nicht mehr ein, das ist nicht gut für mein Herz. Vielleicht ein kleines Beispiel: Brosius-Gersdorf werde im September doch noch von der CDU gewählt, weil „Merz macht das, was Bill Gates und BlackRock ihm sagen“. Darauf muss man kommen, oder?
Dabei hat Julian Reichelt absolut recht. Es war unprofessionell, es stand auf des Messers Schneide. Aber die Abgeordneten der Union haben am Ende das Richtige getan. Sie sind ihrem Gewissen gefolgt und nicht den Vorgaben ihrer politischen Vorturner – so wie Abgeordnete das tun sollten. Ich hätte nicht gedacht, dass noch so viel Leben in der Bude da ist. Jetzt macht bitte weiter so – auch bei anderen Themen!
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Klaus Kelle, Chefredakteur