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Antike Fake News: Die sympathische Hypatia und das Ungeheuer von Loch Ness

MARTIN EBERTS
Die Phylosophin Hypatia in einer zeitgenössischen Darstellung

Zu den meistverbreiteten und nie hinterfragten Legenden und Geschichtsmythen unserer Zeit zählt die Behauptung, das Christentum habe das kulturelle Erbe der Antike zerstört, zum Untergang des Römischen Reiches beigetragen und überhaupt – kaum den Verfolgungen entronnen – eine unduldsame und bigotte Gewaltherrschaft hervorgebracht. Sogar in kirchlichen Kreisen wird diese Art von Fake History oft mit schuldbewusstem Augenaufschlag übernommen. Aber: Nichts ist unsinniger als das!

Als im 4. Jahrhundert unter Kaiser Konstantin das Christentum zur „religio licita“, also zur zugelassenen Religion wurde, waren kaum 15 Prozent der Bewohner des Römischen Reiches Christen. Sie genossen fortan den Schutz der römischen Rechtsordnung. Von „Staatsreligion“ im modernen Sinne konnte keine Rede sein. Vielmehr dauerte das Nebeneinander von Christentum und heidnischen Kulten noch jahrhundertelang an.

Die klassische römische Religion wurde weder von Konstantin noch von seinen Nachfolgern zerstört. Vielmehr erfuhr sie immer wieder Förderung und Würdigung, je nachdem, was den Kaisern  gerade politisch angezeigt schien. Am Ende der Herrschaft Konstantins war nur etwa die Hälfte der Konsuln und Präfekten nachweislich der christlichen Religion zuzuordnen; unter dem christlichen Kaiser Theodosius (379-395) war ihre Zahl sogar wieder geringer.

Die „Vernichtung“ der antiken Religion durch ein bigottes Christentum ist ebenso eine Legende, wie die naive Glorifizierung der heidnischen Religionen und ihrer vielfach äußerst blutigen Riten als einer angeblich sanften und menschenfreundlichen Lebensart.

Als im Jahre 639 ein muslimisch-arabisches Herr die Stadt Carrhae (Harran) bedrohte, war in der Verhandlungs-Delegation der Stadt kein einziger Christ vertreten. Die Koexistenz von Christen und Heiden endete im Osten des Reiches mit der islamischen Eroberung, durch die sie alle zu „Dhimmis“, abhängigen Bürgern zweiter Klasse wurden.

Aber, wird manch einer nun einwenden, was ist dann mit der sympathischen Hypatia, jener klugen Philosophin und Astronomin? War sie nicht der Inbegriff des edlen, toleranten Heiden? Und wurde sie nicht im frühen 5. Jahrhundert von „fanatischen Christen“ überfallen, in eine Kirche geschleppt und dort ermordet?

Diese antikatholische Legende taucht seit dem Propaganda-Pamphlet eines gewissen John Toland aus dem Jahre 1753 mit der ermüdenden Regelmäßigkeit des Ungeheuers von Loch Ness auf. Und alle paar Jahre wird die Story schauriger. Es versteht sich von selbst, dass in Zeiten „woker“ Genderpolitik die gute Hypatia geradezu zur archetypischen weisen Frau stilisiert wird, die dem bigotten christlichen Patriarchat zum Opfer fiel.

In Wirklichkeit ist über eine Philosophin dieses Namens fast nichts verlässliches überliefert. Die Quellenlage ist unsicher und widersprüchlich. Unklar sind sowohl ihre Lebensdaten als auch ihre Lehre. Ob sie tatsächlich einem Lynchmob zum Opfer fiel und was die Hintergründe dieses Mordes gewesen sein könnten, entzieht sich der Kenntnis des Historikers. Nur dass sie von „fanatischen“ Christen ausgerechnet in einer Kirche zerstückelt (!) wurde darf man getrost ins Reich der Legende verweisen.

 

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur