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Deutsche Cancel Culture wird immer absurder

Besser aufpassen, mit wem Sie essen gehen – ein Skandal, der keiner ist

Christian Kott
Foto: IMAGO/Fotostand/Gelhot | Beim Verbraucher extrem beliebt: Produkte der Firma Müllermilch.

Theo Müller kennen Sie vielleicht nicht, aber von „Müllermilch“ haben Sie wahrscheinlich schon einmal gehört. Wen Sie bestimmt kennen, ist Alice Weidel, die Bundesvorsitzende der AfD.

Als Theo Müller jüngst gegenüber dem „Handelsblatt“ ausplauderte, dass er vor einigen Wochen mit Weidel im französischen Cannes zu Abend gegessen habe, hat er vermutlich nicht damit gerechnet, was er damit auslösen würde. Zumal er gleich klarstellte, dass das Treffen „rein privater Natur“ gewesen sei, und weder er noch sein Unternehmen die AfD finanziell unterstützen würden. Das Treffen habe seinem Interesse am Programm der AfD gegolten sowie Weidels persönlicher Ansichten zur aktuellen Politik.

So weit, so unspektakulär

Eigentlich könnte dieser Artikel hier zu Ende sein. Allerdings hielten zahlreiche Medien den Vorgang (warum auch immer) für berichtenswert. Gestern brach das los, was man auf neudeutsch einen Shitstorm nennt: In sozialen Medien posteten unzählige Accounts, vorwiegend aus grünem Umfeld, offene oder konkludente Boykottaufrufe gegen Müllermilch. Die ehemalige Landwirtschaftsministerin und aktuelle Leiterin der „AG Ernährung und Landwirtschaft“ ihrer Bundestagsfraktion, Renate Künast (B90/Die Grünen), twitterte beispielsweise auf ihrem X-Account wörtlich: „Sollt Ihr wissen! Theo Müller: Molkerei-Milliardär bestätigt Kontakte zur AfD. Müller ist Haupteigner der gleichnamigen Unternehmensgruppe. Zur größten Privatmolkerei Deutschlands gehören Marken wie Müllermilch, Weihenstephan, Landliebe.“

Seitdem trendet der Hashtag #Muellermilchboykott, und aus der immer gleichen Ecke überschlagen sich Ankündigungen und Aufrufe, Produkte dieses Unternehmens doch besser zu meiden.

Tatsächlich die „Kontaktschuld“, Frau Künast?

Eins an dieser Stelle ganz klar: Frau Künast und andere haben jedes Recht, Theo Müller, Alice Weidel, die AfD oder sonst wen zu kritisieren, wenn sie glauben, etwas Skandalösem oder Bösartigem auf die Spur gekommen zu sein. Aber ein Abendessen in Cannes? Im Ernst, Frau Künast?

Kritik in irgendeiner sachlichen Frage war kaum, meist aber gar nicht zu lesen. Der Kontakt an sich sollte schon der Skandal sein.

Hinzu kommt: Um Kritik ging es ganz offensichtlich gar nicht. Es ging darum, möglichst viele Verbraucher mit einem kritischen Blick auf die AfD dazu zu bringen, keine Produkte der Unternehmensgruppe Müller mehr zu kaufen und damit dem Unternehmen maximalen Schaden zuzufügen. Hat durchaus funktioniert, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass allein Renate Künasts Tweet Stand frühmorgens des 1. Dezember knapp 700.000-mal angezeigt wurde und mehr als 1.000 Mal repostet wurde. Grob geschätzt die Hälfte der unzähligen Kommentatoren unter ihrem Tweet kündigten an, dem Aufruf nur zu gerne Folge zu leisten und sich zukünftig als Verbraucher so zu verhalten, wie Frau Künast es gerne hätte.

Die Motivation dahinter ist mehr als fragwürdig

Richtig schmerzen soll es, wenn ein Unternehmer so unvorsichtig ist, in irgendeinen Zusammenhang mit der AfD genannt werden zu können. „Bestrafe einen, erziehe viele“ könnten sich die grünen Volkserzieher gedacht haben, als sie die Kampagne lostraten.

Ob das Ziel, der Unternehmensgruppe wirtschaftlich empfindlich zu schaden, wirklich funktioniert hat, darf man in Anbetracht der derzeitigen Zustimmungswerte der AfD von mehr als 20 Prozent zwar bezweifeln, zumal zahlreiche AfD-Fans ankündigten, „jetzt erst recht“ Müller-Produkte in ihren Kühlschrank zu stellen.

Die mehr als 30.000 Arbeitsplätze an 17 Produktionsstandorten, viele davon in Deutschland, werden den Vernichtungsfeldzug der grünen Inquisition also wohl vermutlich überstehen.

„Jetzt erst recht“

Aber das Signal an Verantwortliche aus der Wirtschaft, dass jede Kontaktschuld mit der AfD dazu führen kann, Opfer grüner Cancel-Culture zu werden, ist sicher angekommen. Da wird wohl kaum jemand „Jetzt erst recht“ sagen …

Und etwas anderes ist wirklich Besorgnis erregend: Die Selbstverständlichkeit, mit der linke Pseudomoralisten glauben, sie seien berufen, ein Unternehmen mit einem Boykottaufruf zu überziehen, weil ein Abendessen des Namensgebers sie irgendetwas anginge, zeigt ein erschreckendes Verhältnis zum Pluralismus: Über die immer gleichen Schreihälse in sozialen Medien mag man mit einem mitleidigen Kopfschütteln hinwegsehen, aber „Deutsche, kauft nicht bei Müller!“, auch wenn immerhin nicht genau diese historisch belasteten Worte gewählt wurden, ist eine Methodik, die aus einer ganz anderen Zeit stammt und sich für einen pluralistischen Demokraten, eine Bundestagsabgeordnete und eine ehemalige Landwirtschaftsministerin von allein verbieten sollten.

Eines der Rezepte für den Höhenflug der AfD in den Sonntagsfragen der vergangenen Monate ist neben der tiefen Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der Politik der Ampel-Koalition die durchgehende Weigerung oder Unfähigkeit ihrer Kritiker, die AfD in der Sache zu kritisieren. Moralkeulen ohne Argumente aber ziehen nur noch in der eigenen, rotgrünen Bubble, die sich dann aber nicht wundern darf, wenn bei den nächsten Wahlen immer mehr Wähler allein schon aus Protest gegen den erhobenen Zeigefinger selbsternannter Oberlehrer Müllermilch statt der veganen Soja-Alternative ankreuzen.

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Klaus Kelle, Chefredakteur